Aus dem Workshop gefragt


Wenn wir insbesondere als historisch arbeitende Geisteswissenschaftler:innen mit Projektmanagement befasst sind, kann sich eine Unzufriedenheit einstellen, sobald es um das Zeitmanagement geht. Wir wissen, dass Zeit nicht so linear verläuft, wie Gannt-Diagramme es abbilden, wir wissen, dass „Nachhaltigkeit“ gerade auch in Stressphasen die langfristige Perspektive braucht und wir wissen, dass das Geschehen im Kontext jede individuelle To-Do-Liste im Handumdrehen nichtig machen kann.

Darum stellte sich in unserem Projektmanagement-Workshop die Frage, wie wir unsere fachliche Perspektive in das Zeitmanagement einbringen können. Oder, mal populistisch: Wir dürfen die Zeit nicht allein den BWLern überlassen. 😊

1. Reflexion und Einbindung verschiedener Zeitkonzepte

Zeit ist nicht immer und nur linear. Das können wir auch in der Planung von Projekten berücksichtigen.
Zunächst lohnt es, allein zu reflektieren, welche Zeitkonzepte mir bekannt sind und in welchen Situationen und Kontexten ich intuitiv zwischen Zeitkonzepten wechsele. Dann kann ich diese Reflexion auf die Organisation ausdehnen, und schließlich für die Planung im Team berücksichtigen.

Neben der linearen Betrachtung wird den meisten von uns eine zyklische Zeitwahrnehmung vertraut sein, sei es dank Jahreszeiten und -festen, sei es dank Menstruation. In Organisationen begegnen uns ebenfalls Zyklen und Rhythmen: formale wie Legislaturperioden, Jahresabschlüsse, Vorlesungs- und vorlesungsfreie Zeit, habituelle wie Urlaubszeiten oder Tagungs- und Messemonate. Diese Zyklen und Rhythmen bewusst in die Projektplanung einzubeziehen – oft geschieht dies intuitiv ohnehin – kann eine bessere Harmonie zwischen Projektgeschehen, Organisationsvorgängen und individuellen Bedürfnissen herstellen. So sollten etwa Aufgaben, die in enger Abstimmung mit Stakeholdern innerhalb der Organisation erfolgen müssen, nicht in Phasen erfolgen, in denen Ämter neu besetzt werden. Individuelle, autonome Arbeitsphasen von Projektmitgliedern können gut in die Sommermonate geplant werden, teambezogene Arbeitsphasen eher in die Monate mit hoher Anwesenheitsquote.
Ein weiterer Vorteil des zyklischen Konzepts ist die Vorhersehbarkeit und Wiederholung von Vorgängen. Hier kann viel Zeit gespart werden bzw. effizient gearbeitet werden, wenn Arbeitsprozesse standardisiert und vielleicht sogar (teil)automatisiert werden, statt sie jedes Mal als viel zu kurzfristig auftauchende Überraschung zu erleben.

Voraussetzung ist, dass diejenigen, die mit der Zeitplanung betraut sind, um diese Zyklen und Standardisierungen wissen – sie also entweder dauerhaft in der Organisation sind und ihr Erfahrungswissen einbringen können, oder ein strukturiertes Onboarding stattfindet, damit neue Teammitglieder sowohl über Zyklen und Rhythmen von Organisation und Projekt informiert sind als auch die Prozesse kennenlernen, die für diese wiederkehrenden Aufgaben entwickelt wurden.

Für interkulturelle Teams, die erstmals miteinander arbeiten, lohnt es sich meiner Erfahrung nach, ein Meeting zum Thema Zeitkonzepte, -wahrnehmungen und -bedürfnisse durchzuführen, um miteinander darüber ins Gespräch zu kommen, wie unterschiedliche Perspektiven in der Projektplanung berücksichtigt werden sollten. Das bedeutet nicht, dass alle individuellen Bedürfnisse schließlich tatsächlich berücksichtigt werden; gerade in größeren Projekten würde man daran verzweifeln. Es erleichtert jedoch die Planung und auch das Miteinander ungemein, wenn alle im Team wissen, dass neben Weihnachten auch chinesisches Neujahr und Zuckerfest gefeiert werden, dass die Kollegin im Ramadan anders leistungsfähig ist als im restlichen Jahr, dass der andere Kollege samstags keine E-Mails beantworten wird und dass die Kollegin, die die Kooperation mit dem Projektteam in Australien betreut, einen Teil ihrer Arbeitszeit zwischen 2 und 6 Uhr morgens ableistet, weshalb sie für Aktivitäten am Spätnachmittag nicht zur Verfügung steht. Diese pragmatischen Punkte können einen Gesprächseinstieg darüber darstellen, wie die Teammitglieder insgesamt mit Zeit umgehen: flexibel oder starr, deadlinebezogen oder rhythmisch arbeitend, langfristig oder nur für den Tag planend, bevorzugt autonom und selbstbestimmt oder mitschwingend mit den Rhythmen des Teams oder den Vorgaben von Vorgesetzten.

Je mehr wir verstehen, wie andere im Team Zeit verstehen und nutzen, umso besser können wir im Projektmanagement die Ressource Zeit planen, passende Formate für das Team auswählen und Aktivitäten priorisieren. Die Gestaltung der gemeinsamen Projektzeit folgt dann nicht mehr den Tools, sondern die Tools können so ausgewählt werden, dass sie zur Zeitkultur im Team passen. Vielleicht sind sie dann – bis auf Uhr und Kalender – auch gar nicht mehr nötig, und auch die leidigen Themen Motivation und Deadlinestress werden leichter.

2. Langfristige Perspektiven

Projekte sind meist Vorhaben mittlerer Dimension – sie sind auf ein paar Monate bis ein paar Jahre geplant. Die geisteswissenschaftliche Perspektive auf Zeitmanagement erinnert uns daran, dass auch Projekte in einem größeren Kontext stehen, der deutlich über die Laufzeit hinauswirkt.

Mir persönlich hilft diese langfristige Perspektive im Alltag oft, Ruhe zu bewahren:

Vom Jahr 2525 aus gesehen spielt das Ganze keine so große Rolle mehr.

Für Projekte kann die langfristige Perspektive vor allem dann relevant sein, wenn es um die Orientierung des Teams geht. Konflikte und Missmut entstehen häufig im täglichen Klein-Klein; in der Ausrichtung auf das Projektziel oder in der Motivation aus den Projektintentionen heraus gibt es meist eine grundsätzliche Einigkeit.

Die langfristige Perspektive ist weiterhin unerlässlich, wenn es um veränderte Planungen geht, etwa, weil ein zentrales Teammitglied vorzeitig ausscheidet oder für eine längere Zeit ausfällt, oder weil die Ergebnisse eines Arbeitspakets anders ausfielen als geplant. Wir können zunächst analysieren: Welche Auswirkungen haben unsere Entscheidungen, wenn wir Weg A oder Weg B gehen, um mit der Situation nun gut umzugehen? Wir können weiterhin umgekehrt planen: Wenn wir das Ziel vielleicht etwas anpassen, und dann rückwärts denken: Was müssen unsere Prioritäten im täglichen Handeln sein, um dieses Ziel zu erreichen?

Wenn das tägliche Handeln auf das langfristige Ziel und auch auf den Projektkontext ausgerichtet werden kann, adressieren wir eine Dimension von Nachhaltigkeit. Oft ist das Sprechen über Nachhaltigkeit von ökologischen Faktoren bestimmt, und das soll natürlich auch nicht enden – dennoch können wir im Projektmanagement auch die Perspektive der Nachhaltigkeit als langfristigen Wirkung unseres Handelns und Denkens verfolgen. Dann kommen wir nämlich zur Frage, wie wir in diesem Sinne nachhaltige Prozesse für Projekte entwerfen, die schonend mit unserer kostbaren Zeit umgehen. Wir kommen auch zur Frage, welche transferfähigen Ergebnisse und Kompetenzen wir während der begrenzten Projektzeit entwickeln – und der Entscheidung, welche wir entwickeln wollen. Wenn wir die Langfristigkeit mitdenken, haben wir ein Bewertungskriterium mehr zur Hand, als es das Verständnis von Zeitmanagement als Aufgabe in kurzfristigen Stressphasen bietet, wenn wir dazu neigen, Vorgänge und Ergebnisse unter dem Eindruck von Knappheit zu bewerten.

3. Kritische Betrachtung

Zu den leider bis in die Bedeutungslosigkeit wiederholten Phrasen zu den Kompetenzen von Geisteswissenschaftler:innen gehört, dass wir „kritisch denken“ können (als ob andere das nicht könnten und als ob wir dies wirklich alle methodisch abgesichert als Kompetenz zu Markte tragen). Aber wenn ich meinen Unmut einmal beiseite lasse, ist das Zeitmanagement tatsächlich eine Aufgabe, der die kritische Betrachtung sehr gut tut. Einiges klang schon in den bisherigen Absätzen an – Priorisierung, Autonomie, Linearität und Zyklus – und sei hier in kritischen Fragen und den daraus folgenden Entscheidungen konkretisiert:

  • Brauchen wir das Arbeitspaket 7.15 wirklich bis zum 1.6., wenn wir Teilziel A erreichen wollen?
    Nein.
    Es dient nur der qualitativen Verbesserung. Wir nehmen es nur in den Arbeitsprozess, wenn wir mit allen Aufgaben vom kritischen Pfad bis zum 20.5. fertig sind.
  • Ist es unter Berücksichtigung der bekannten Rhythmen der Organisation wirklich realistisch, den Projektabschluss auf den 15. August zu legen?
    Nein, dann ist Urlaubszeit.
    Wir müssen den Abschluss auf den 30.8. verschieben. X, Y und Z müssen bis zum Urlaubsantritt auf jeden Fall die Arbeitspakete 16-20 abgeschlossen haben und die Ergebnisse an T übermittelt haben, damit T sie vertreten und Q damit weiterarbeiten kann.
  • Wenn wir die Arbeitspraktiken der beiden vorangegangenen Projekte auswerten, können wir davon ausgehen, dass wir Arbeitspaket 4.2. zu lang und Arbeitspaket 4.3. zu kurz geplant haben. Wir sollten das revidieren.
  • Wenn wir das Stresslevel des vorangegangenen Projekts berücksichtigen, sollten wir dieses Projekt überhaupt nicht mit einem linearen Zeitverständnis planen, sondern in iterativen Zyklen.
  • Person A und Person B haben ihre Projektarbeit autonom geplant. Ihre Ergebnisse sind aber aufeinander bezogen.
    Bitte, Person A und Person B, plant zusätzlich zu euren individuellen Vorgängen
    a) Transferformate ein, um Euch regelmäßig über den Fortschritt informiert zu halten, und
    b) ein gemeinsames Format ein, um die Teilergebnisse zusammenzuführen.

Dank der kritischen Reflexion können wir vorhandene Annahmen – auch Routinen! – in Frage stellen und alternative Perspektiven öffnen. Zu den beiden Ansätzen aus linearem und agilem Projektmanagement – plan- oder ergebnisgetrieben – kommen weitere Möglichkeiten: kontextgetrieben bzw. holistisch gedacht, sozial bedingt, aus der Prozessqualität heraus begründet und entschieden. Erneut nutzen wir nicht reflexhaft praktische Tools, die andere Disziplinen entworfen haben und aus ihrer Weltwahrnehmung begründet sind (und natürlich ihre Berechtigung haben – wenn Kontext und Intention passen). Dafür bringen wir Qualitäten ein, die eben aus unseren Disziplinen stammen und die insbesondere für Projekte, die in der Nähe unserer Disziplinen angesiedelt sind, deutlich besser passen und wirksam werden können.

Fazit

Gängige Formen des Zeitmanagements – wie Diagramme, To-Do-Listen, Timeboxing usw. – haben ihren Wert. Sie können uns helfen, im Chaos einen Anfang zu finden, Zeit effektiv zu nutzen, und sie sind in Teams, die sich mit anderen Perspektiven als den eigenen sehr schwertun, ohne große Erklärungsnot zu vermitteln. Außerdem eignen sie sich oft sehr gut an der Schnittstelle von menschlicher und maschineller Arbeit. Nachteile sind jedoch, dass diese Formen oft nur eine Dimension von Zeit zugrunde legen und die Vielschichtigkeit im Umgang mit Zeit unnötig reduzieren.

Mit einer geisteswissenschaftlichen Perspektive können wir Projektanforderungen, organisatorische Abläufe und individuelle wie soziale Bedürfnisse oft harmonischer integrieren. Das führt zu realistischeren Zeitplänen und reduziert Konflikte und Stress im Team. Klug geplant und mit einem Team, das offen für eine holistische Herangehensweise an die Zeit ist, erlaubt es auch, nachhaltige Prozesse zu entwickeln, die über die unmittelbare Laufzeit und das aktuelle Projektziel hinaus Bedeutung haben. Und vielleicht steckt darin sogar für manche Personen im Team die Möglichkeit, das eigene Verständnis von Zeit zu reflektieren und zu einer vielschichtigeren Wahrnehmung zu gelangen.

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Die Frage stammte aus dem laufenden Workshop Grundlagen des Projektmanagements.

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