Teil 1


Wenn wir nur auf die „generalistischen“ Fähigkeiten von Geisteswissenschaftler:innen schauen, ist die Option, ins Projektmanagement zu wechseln, nur mäßig attraktiv. Ja, wir können IHK-Fortbildungen besuchen und dann Quereinsteigende sein für Jobs, auf die die BWLer:innen keine Lust haben.

Aber wir können auch überlegen, wie wir unsere Stärken ins Spiel bringen und gerade, weil wir Geisteswissenschaftler:innen sind, eine eigene Perspektive auf Projektmanagement beisteuern. Es versteht sich von selbst, die Grundlagen des üblichen Projektmanagements zu kennen, um zu identifizieren und zu kommunizieren, inwiefern wir uns davon abheben – und warum darin ein Gewinn liegt.

Dieser Blogbeitrag bietet die ersten drei von sechs Vorschlägen für die besondere Qualität, die Geisteswissenschaftler:innen in das Projektmanagement einbringen können.

Projekte sind meist Teamarbeit. Und Teamarbeit ist für viele Menschen eine Herausforderung, weil Erfahrungen, Bedürfnisse und Erwartungen sehr unterschiedlich und oft auch gegenläufig sind. Alle geisteswissenschaftlichen Disziplinen befassen sich mit menschlichen Aspekten, mit Kultur, Ethik, Ästhetik, mit Intentionen, Zufall, Widersprüchlichkeiten, mit Krisen und großen Momenten. Wenn wir beobachten, dass objektivierbare Verfahren oder „SMARTE“ Ziele zum Einsatz kommen, verstehen wir schnell, dass es Hilfsmittel sind, die aus zwei Gründen benötigt werden:

  1. weil wir zunehmend mit Maschinen interagieren,
  2. weil viele Menschen Schwierigkeiten damit haben, Signale anderer Menschen wahrzunehmen, zu deuten und ihrer Wahrnehmung und Deutung zu vertrauen.

Objektivierbare Verfahren sind ein guter Einstieg, oft auch eine gute Begleitung in Projekten; und für alle Abweichungen vom Vorherseh- und Planbaren (also den Großteil der Projektarbeit) hilft es, Expertise für menschliche Faktoren im Team zu haben oder gezielt hinzuzuholen, z.B. aus der Psychologie – oder aus den Geistes- und Kulturwissenschaften. Wir können diese Expertise ruhig ausarbeiten und herausstellen.

„Kontext“ meint in diesem Zusammenhang die Begleitumstände, die das Projekt mitprägen, die Umgebung, in die das Projekt eingebunden ist, und die Beziehungen, in denen sowohl das Projekt als auch Projektmitarbeitende stehen. Wir haben auch im klassischen Projektmanagement schon „Kontext-Aspekte“, etwa die Markt- und Umfeldanalyse, das Stakeholdermanagement oder eine gut durchgeführte SWOT. Geisteswissenschaftler:innen können hier tiefer einsteigen, indem sie für Begleitumstände oder Beziehungen zur Umgebung, die erfolgs- oder krisenrelevant sind, sensibilisieren. Die Berücksichtigung des Projektkontexts hilft oft, besser zu verstehen, welche Ursache Störungen, Verzögerungen und fehlende Akzeptanz haben, und damit auch, wie ihnen begegnet werden kann. Außerdem hilft das Mitdenken des Kontext, das Projekt bewusst zu positionieren, etwa im Licht vergangener Erfahrungen, unter Berücksichtigung aktueller gesellschaftlicher Trends, differenziert nach regionalen und internationalen Bezügen oder in langfristiger, zukunftsorientierter Perspektive. Insofern können wir als Geisteswissenschaftler:innen mithilfe unseres Kontextbewusstseins z.B.

  • Konfliktursachen erkennen und damit sowohl präventiv als auch lösungsorientiert arbeiten
  • Kontextabhängige Ziele und Intentionen verstehen und damit Projektdesigns entwerfen, die für alle Beteiligten relevant, verbindlich und angemessen sind
  • Storytelling und Marketing an Bedürfnissen, Beziehungen und Hintergründen ausrichten, so dass Narrative zielgruppen- und kontextorientiert entwickelt werden, was sie effektiver macht und die Akzeptanz steigert.
  • Nachhaltigkeit im Sinne von „Langfristigkeit“ in die Projekte und Prozesse integrieren, da der zeitliche Rahmen auf die Bedingungen vor dem Projektstart – den historischen Kontext – und die gesellschaftlichen Trends – den aktuellen und zukünftigen Kontext – ausgedehnt wird.

Heimspiel!, mögen manche nun denken. Ich bin inzwischen etwas nüchterner geworden, was diese vermeintliche Schlüsselkompetenz von Geisteswissenschaftler:innen angeht. Nur, weil viele von uns gern und elaboriert reden, ist es eben noch keine Schlüsselkompetenz, sondern oft eine gute Mischung aus Neigung, Talent und Sozialisierung in textbasierten Fächern. Zur Professionalisierung fehlt oft doch der Schritt aus der Intuition in die systematische, methodische Anwendung von Kommunikationswissen einschließlich der Planung von Kommunikation in Projekten und der zielgruppengerechten Kommunikationsstrategie. Aber gerade weil viele Geisteswissenschaftler:innen Neigung, Talent und Sozialisation und natürlich auch Wissen über Kommunikationstheorien und -praktiken mitbringen, ist der Schritt zur Professionalisierung rascher und leichter gegangen als für Absolvent:innen anderer Fachgruppen.

Aus den Geisteswissenschaften können wir also spezifisch und wertschöpfend zur Kommunikation in Projekten, zwischen Projekten und mit dem Umfeld beitragen, indem wir z.B.:

  • Verstehen ermöglichen, z.B. komplexe Informationen zielgruppen- und aufgabengerecht aufbereiten und weiterleiten, unterschiedliche Informationsstände abbilden und Angleichung planen, Sicherstellen, dass alle von einer Angelegenheit betroffenen Projektbeteiligten klar und zeitnah informiert werden, sodass alle arbeits- und ggf. entscheidungsfähig sind, weniger Zeit verloren geht und die Teambildung erleichtert wird,
  • Kommunikationsformate auswählen, erläutern und umsetzen, z.B. unterschiedliche Meetings je nach Zweck und Teilnehmendengruppe, synchrone und asynchrone/formelle und informelle Kommunikationsformate auswählen, um effektiver zu arbeiten, Redundanzen (und damit Demotivation) zu vermeiden und Abwechslung in die Zusammenarbeit zu bringen,
  • passende Sprache im Projekt wählen bzw. zwischen unterschiedlichen Projektsprachen – sowohl natürliche Sprachen als auch Fach- und Programmiersprachen – übersetzen, um die Kommunikation im Team zu ermöglichen und zu verbessern.

In diesem Beitrag haben wir die Bedeutung von menschlichen Faktoren, Kontextbewusstsein und effektiver Kommunikation im geisteswissenschaftlich geprägten Projektmanagement beleuchtet. Freut Euch auf Teil 2, in dem wir Ethik, kritisches Denken und Langfristigkeit als geisteswissenschaftliche Beiträge zum Projektmanagement erörtern.

Zeitmanagement jenseits des Mainstreams – Brotgelehrte

Dieser Beitrag stammt aus Überlegungen aus dem laufenden Workshop Grundlagen des Projektmanagements.
Unverbindlicher und kostenloser Infocall für die nächste Veranstaltung am 7.2.2024, 9 Uhr. Hier geht es zur

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