Im Beitrag Wertschöpfung der Geisteswissenschaften – Teil 1 habt Ihr bereits das Tool Value Proposition Canvas kennengelernt. Im heutigen Beitrag schauen wir uns das erste Segment an: pragmatische Aufgaben und Jobs, die wir als Geisteswissenschaftler:innen in Anstellung und selbstständig für unsere Zielgruppen erledigen können.

Customer ProfileWertangebotskarte
Jobs und Aufgaben
Was muss erledigt werden? – Dies kann funktional, formal, sozial oder emotional sein.
Pragmatische Produkte und Dienstleistungen
Mit welchen Produkten und Dienstleistungen kann ich dabei helfen, diese Aufgaben zu erledigen oder der Kundschaft diese Aufgaben abnehmen?

„Aufgaben und Jobs“ meint ganz pragmatisch das „täglich Brot“, mit dem Kund:innen sich befassen müssen, und für das sie nach Unterstützung suchen. Diese Unterstützung suchen sie aus verschiedenen Gründen, z.B.

  • weil sie keine oder zu wenig Zeit bzw. zu wenig Personal haben, um die Aufgaben selbst zu erledigen (Beispiel: Hochschule muss Studierbarkeit eines Studiengangs sicherstellen – zu wenig Personal à Einsatz von Lehrbeauftragten auf Honorarbasis),
  • weil sie nicht das nötige Wissen bzw. die nötige Kompetenz haben, um die Aufgaben selbst zu erledigen – oder weil sie verunsichert sind, ob sie die Kompetenz haben (Beispiele: Steuern sind ein komplexes Thema. à Ich bin auf der sicheren Seite mit einer Steuerberatung; DSGVO-Kram macht mich wahnsinnig. à DSGVO-Beratung buchen.)
  • weil sie die Aufgaben nicht selbst erledigen wollen (Beispiel, der Klassiker: Putzen),
  • weil die Aufgaben nur temporär anfallen und sich darum keine Dauerstelle lohnt (Beispiel: Projektarbeit).

Nun können wir dies auf Arbeitsfelder von Geisteswissenschaftler:innen übertragen. Wir beginnen bei den Aufgaben, die im öffentlichen Dienst anfallen und die sie als Beamte oder in Anstellung übernehmen:

  • Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit (Diplomatie, Nachrichtendienste)
  • Verwaltung als Teil der Infrastruktur und zur Sicherstellung bzw. Umsetzung der rechtlichen Regulationen
  • Bildung (staatliche Schulen, Ersatzschulen, Hochschulen)
  • Förderung von Forschung und Wissenschaft (Universitäten und staatliche wissenschaftliche Einrichtungen, z.B. Akademien der Wissenschaften, Forschungsbibliotheken etc.)
  • Erhalt des kulturellen Erbes (Archive, Museen, Gedenkstätten, Denkmalschutz)

Auch in Unternehmen oder in Organisationen außerhalb des öffentlichen Dienstes übernehmen Geisteswissenschaftler:innen Aufgaben, die schlicht grundlegende Tätigkeiten sind – also nicht direkt auf Problemlösung oder Gewinnsteigerung abzielen. Dazu können folgende Beispiele gehören:

  • Content Creation, Kommunikation, PR und Redaktion: So gut wie alle Organisationen brauchen interne und externe Kommunikation. Geisteswissenschaftler:innen schreiben Artikel, Blogbeiträge, Whitepaper, Berichte, Social-Media-Posts usw. Während der Redaktion überprüfen sie diese Beiträge auf Kohärenz und planen Zeitpunkte, Medien, Distribution des Contents.
  • Analysen: Geisteswissenschaftler:innen untersuchen kulturelle, gesellschaftliche und Markttrends, die Einfluss auf das Unternehmen oder die Organisation haben. Ein vor allem für die sozialwissenschaftlich ausgelegten Geisteswissenschaften bekanntes Beispiel ist die Marktforschung.
  • Wissensmanagement: Organisationen haben unterschiedliche Wissensbestände, und sie brauchen eine zuverlässige Verwaltung dieses Wissens. Geisteswissenschaftler:innen organisieren Wissensdatenbanken und Wissensvermittlung, legen Archive an, verwalten die Informationsquellen im Unternehmen.
  • Diversity-Management und Gleichstellung: Es gibt ganz unterschiedliche Motive für Organisationen, Diversity und Gleichstellung zu adressieren: Fachkräftemangel, strategische Ausrichtung des Unternehmens, Haltung… Geisteswissenschaftler:innen entwickeln Maßnahmen zur Förderung von Diversität und Inklusion und setzen sie um. Dazu kann auch die Besetzung der Antidiskriminierungs- und/oder Beschwerdestelle gehören oder Schulungen und Initiativen zur Bekämpfung bzw. Aufarbeitung von -ismen innerhalb der Organisation.
  • Weiterbildung und Coaching: Gleich in welcher Branche – wir sind in einer Zeit des permanenten Wandels und kennen die Anforderung des lebenslangen Lernens. Geisteswissenschaftler:innen konzipieren Bildungsprogramme und -veranstaltungen und führen sie durch, arbeiten im Bereich der betrieblichen Bildung und Erwachsenenbildung sowie in der Personalentwicklung, um die persönliche und berufliche Entwicklung von Mitarbeitenden zu fördern.
  • Projektmanagement: Geisteswissenschaftler:innen in der generalistischen Perspektive werden zunehmend für das Projektmanagement gefragt, und zugleich gehört Projektmanagement zunehmend zu den üblichen To-Dos auch konventioneller Stellen; siehe Innovatives Projektmanagement: geisteswissenschaftliche Perspektive , und Weiterbildungen und Zertifizierungen Projektmanagement .  
  • Kreative Aufgaben: Da viele Geisteswissenschaftler:innen in Feldern mit hohem kreativen Anspruch arbeiten – Kulturwirtschaft, Wissenschaft, Marketing, Kunst – gehört kreative Arbeit ebenfalls zu den alltäglichen Wertschöpfungen. So entstehen Werbekampagnen, Ausstellungen, Forschungsprojekte, Kulturveranstaltungen.

Ihr seht, dass hier eine recht lange Liste steht, und sie ließe sich fortsetzen mit CSR, Ethik, Monitoring/Controlling … – ein anderes Mal.  

In einem mittelständischen Unternehmen ist eine Stelle zur internen Kommunikation zu besetzen. Aufgabe der Stelle ist, sicherzustellen, dass alle Mitarbeitenden regelmäßig und effizient über Unternehmensneuigkeiten informiert werden. Eine Geisteswissenschaftlerin bewirbt sich auf die Stelle und bietet folgende Wertschöpfung in ihrem Motivationsschreiben an:

  • Sie kann kurze, prägnante Newsletter erstellen. Sie dienen dazu, regelmäßig und gut strukturiert Updates an die Belegschaft zu senden.
  • Wohl wissend, dass Newsletter versenden nicht bedeutet, dass Newsletter gelesen werden, schlägt sie eine multimediale Strategie vor: Videos und Podcasts sollen den Newsletter ergänzen und insbesondere komplexe Themen anschaulich und motivierend vermitteln.
  • Da das natürlich immer noch nicht sicherstellt, dass die Belegschaft die zur Verfügung gestellte Information aufnimmt, berichtet sie von einem Projekt, in dem sie mitarbeitete, und in dem regelmäßige kurze Umfragen und Feedback-Runden eingesetzt wurden, um die Kommunikationsbedürfnisse im Team zu erfassen und kontinuierlich zu verbessern. Diese gute Erfahrung würde sie auf die Stelle übertragen.  

Newsletter und Multimedia-Inhalte helfen, die Aufgabe der effizienten Informationsverteilung zu erfüllen; die Feedbackschleifen dienen der Ausrichtung an den Bedürfnissen und Interessen der Belegschaft, sodass die Informationen auch wirksam werden können. – Die Kandidatin bewirbt sich mit einem pragmatischen Beitrag zur Wertschöpfung, da alltägliche und unausweichliche Aufgaben erledigt und qualitativ weiterentwickelt werden.

Im heutigen Beitrag haben wir uns das erste Segment der Value Proposition Canvas angesehen: pragmatische Aufgaben und Jobs, die wir als Geisteswissenschaftler:innen in Anstellung und selbstständig für unsere Zielgruppen erledigen können. Natürlich spielt die oft kritisch angebrachte „ökonomische Verwertung“ eine Rolle. Aber ohne auch ökonomische Wertschöpfung kein täglich Brot. Zugleich sehen wir, dass die „ökonomische Verwertung“ nicht automatisch meint, sich an raffgierige, gewinnmaximierende, skrupellose Konzerne zu verkaufen. Gibt’s auch, klar. Aber ganz überwiegend tragen Geisteswissenschaftler:innen zur Wertschöpfung bei, indem sie ganz alltägliche Aufgaben in Behörden, Schulen, Hochschulen, Unternehmen erledigen – als Angestellte, Beamte oder selbstständige Dienstleister:innen.

Unsere Arbeit ist notwendig, weil wir über bestimmte Kenntnisse und Kompetenzen verfügen, die andere nicht haben – für den Fachunterricht etwa, aber z.B. auch für den Umgang mit Sprache. Weil andere Zeit- und Personalengpässe haben, und wir anpassungsfähig und auffassungsbegabt sind, um uns schnell einzuarbeiten und hier für Entlastung zu sorgen. Weil es manchmal temporäre Anforderungen gibt, die zu unserem Autonomiebedürfnis und unserem vielleicht auch temporär wechselndem Interesse an bestimmten Inhalten und Arbeitsweisen passt. Unterschätzen wir also nicht den großen Wert, der mit der Erfüllung pragmatischer Aufgaben geschaffen wird.

Zu unserem Angebot für die freien Berufe:

Freie Berufe – Brotgelehrte

Menü