„[…] der Wille ist ein Vermögen nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch nothwendig, d.i. als gut, erkennt.“
Immanuel Kant
Ethikbeauftragte (auch: Ethikbeiräte, Diskriminierungsbeauftragte) überprüfen die ethischen Standards eines Unternehmens, halten sie fest und stellen sicher, dass diese eingehalten werden. Sie bieten Beratungen, Coachings und Seminare/ Schulungen für Mitarbeitende an. Manchmal sind Ethikbeauftragte auch Teil eines Gremiums oder Komitees, das die Inhalte für die Schulungen entwickelt. Bei Verstößen gegen die ethischen Standards können Ethikbeauftragte Vorwürfe prüfen, beurteilen und gegebenenfalls Maßnahmen und/oder neue Richtlinien erstellen, damit weitere Vorfälle verhindert werden können. Sie vermitteln auch oft in Geschäftsbeziehungen zwischen den jeweiligen internen und externen Vertreter:innen. Außerdem stehen sie bei öffentlichen Anfragen als Ansprechpartner:in für ethische Fragen zur Verfügung.
Tätigkeitsbereich
Der Tätigkeitsbereich ist demnach vielfältig und komplex; Ethikbeauftragte müssen neben theoretischen Kenntnissen (u.a. Rechtslage kennen) eine ausgezeichnete Kommunikationsfähigkeit besitzen (interne und externe Kommunikation), oftmals kreativ und spontan Lösungsansätze präsentieren (analytisches Denken) sowie Anleiten können. Ethikbeauftragte arbeiten oftmals in medizinischen Einrichtungen, Unternehmen aller Art, NGOs sowie Bildungs- und Regierungseinrichtungen.
Lebensläufe
Aus diesem Grund sind die Lebensläufe von Ethikbeauftragten auch sehr bunt. Ein Blick auf die Website des Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft e.V. gibt Aufschluss darüber, welche Abschlüsse in den CVs präsent sein können:
Die Präsidentin, Dr. Irina Kummert, hat z.B. an der Philosophischen Fakultät der Goethe-Universität in Frankfurt am Main promoviert. Der Vizepräsident, Prof. Dr. Klaus-Jürgen Grün, war hingegen lange Zeit bei DEGUSSA im Bereich Chemie, und studierte auf dem zweiten Bildungsweg Philosophie, Mathematik, Geschichte und alte Philologie, was er schließlich mit einer Promotion im Bereich Naturphilosophieabschloss.
Wenn wir die Geschichte jedoch vom Anfang her denken, können wir mit einem Ethik-bezogenen BA einsteigen, z.B. B.A.-Studiengang „Ethik“ (Uni Bielefeld). Oder nach einem grundständigen Philosphiestudium in einen spezifischen Master wechseln, etwa „Ethics – Economics, Law and Politics M.A.“, Ruhr-Universität Bochum, oder „Angewandte Ethik M.A.“, Universität Münster. Einschlägige Alternativen können Abschlüsse in der gesamten Bandbreite geisteswissenschaftlicher Disziplinen sein, solange das eigene Profil die vertiefte Auseinandersetzung mit ethischen Themen und Fragestellungen belegt.
Die Zahlen …
Klang bis hierher ganz gut, oder? Und wenn man hinzunimmt, dass die Relevanz eines professionellen Umgangs mit ethischen Fragestellungen in Wirtschaft und Gesellschaft angesichts von Krisen und KI auch medial betont wird, sollte sich doch eine echte Perspektive bieten, nicht wahr?
Jetzt kommt das Aber:
Trotz des breiten und wichtigen Aufgabenspektrums ist die Zahl der Beschäftigten im Arbeitsfeld Ethik, Religion und Philosophie sind die Einstellungszahlen seit 2012 kontinuierlich gesunken (https://job-futuromat.iab.de).
Diese Entwicklung lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. Zum einen haben viele Unternehmen ihre internen Strukturen und Prozesse überarbeitet, sodass ethische Fragestellungen zunehmend von anderen Abteilungen, wie der Personalabteilung oder dem Compliance-Management, mit abgedeckt werden. Zum anderen spielt auch der finanzielle Aspekt eine Rolle: In wirtschaftlich angespannten Zeiten werden Positionen, die nicht unmittelbar zur Wertschöpfung beitragen, gestrichen oder zusammengelegt. Beide Faktoren lassen mitdenken, dass in kleineren und mittleren Organisationen nicht hinreichend und kontinuierlich die spezifischen Aufgaben anfallen, die eine überdurchschnittlich bezahlte Vollzeitstelle beschäftigt hielten.
Anders als etwa in den USA werden Ethikbeauftragte oft im Rahmen eines unmittelbaren Anwendungsfalls gedacht: Es gibt Vorwürfe, eine Person oder Abteilung habe gegen ethische Standards verstoßen, und nun koordiniert und berät ein:e Ethikbeauftragte:r den Prozess. Wenn es gerade mal keine Vorwürfe gibt, ist auch nichts zu tun, denn die Person ist ausschließlich für ethische Fragen zuständig. In den USA hingegen ist zu beobachten, dass Spezialist:innen für Ethik entweder als Mitglieder des Compliance-Teams gedacht werden und als solche in Aufgaben der Unternehmenskommunikation, Personalentwicklung und Beratung der Geschäftsführung in Fragen ethischer und rechtlicher Rahmung insgesamt eingebunden sein. Oder sie sind Teil der strategischen Unternehmensentwicklung, die Wachstum (bzw. Wachstumsperspektiven) und Change multiperspektivisch konzipiert. Beides sehen wir in Deutschland eher selten.
Diese Herausforderungen machen den Berufseinstieg und die berufliche Sicherheit für Ethikbeauftragte schwieriger, obwohl ihr Beitrag zur Förderung ethischer Standards und zur Vermeidung von Fehlverhalten in Unternehmen und Organisationen von großer Bedeutung ist.
Was nun?
Strategie 1: Gezielt auf internationale Unternehmen setzen, die ein integratives Modell für Ethikbeauftragte praktizieren. Möglicherweise werden die Stellen dann anders benannt, z.B. der CSR zugeordnet.
Strategie 2: Ernst nehmen, dass konkrete Aufgaben in manchen Unternehmen nur vereinzelt anfallen, sodass Unternehmen niemanden dauerhaft einstellen wollen, und Ethische Beratung als Dienstleistung anbieten.
Strategie 3: Nahe an der Akademie bleiben, entweder für eine klassische akademische Karriere, die ethische Fragestellungen für die Praxis reflektiert (und auch beraten kann)
Strategie 4: Entscheidung für eine Laufbahn in Verbänden, Interessensvertretungen, NGO, Medien, die aktuelle Debatten anstoßen, führen und das Thema Ethik (samt Wirtschaftsethik) auf die öffentliche Agenda setzen.
Falls Ihr nicht ohnehin schon Ethik studiert oder einen thematischen Schwerpunkt dort gesetzt habt, könnt Ihr euch mit Zertifikatskursen und Weiterbildungen zu Ethik, Wirtschaftsethik, Compliance gezielt weiterbilden. Praktika, Ehrenamt mit professionellem Anspruch (z.B. in Clearingstellen) und freie Mitarbeit in den oben aufgeführten Arbeitsumgebungen sind natürlich auch stets ein probates Mittel; vielleicht besteht sogar die Möglichkeit, als Werkstudent:in tätig zu werden oder eine anwendungsbezogene Abschlussarbeit zu schreiben.
Der Beitritt zu Fachverbänden, wie dem Ethikverband der Deutschen Wirtschaft e.V., ermöglicht den Zugang zu beruflichen Netzwerken, Konferenzen und Weiterbildungen. Hier gibt es vielleicht auch Menschen, die bereit sind, euch als Mentor:in den Einstieg in die Praxis zu erleichtern.
Eine interdisziplinäre Kompetenzentwicklung in den Bereichen Recht, Sozialwissenschaften, Psychologie und Betriebswirtschaftslehre ist ebenfalls entscheidend, um den vielseitigen Anforderungen des Berufs gerecht zu werden. Im übernächsten Schritt sind Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, Blogs oder auf sozialen Medien zu ethischen Fragestellungen eine Möglichkeit, sich als Expert:in auf dem Gebiet zu positionieren und die eigene Sichtbarkeit zu erhöhen.
Weiterstöbern
- https://www.ethikverband.de/
- https://www.ethikrat.org/
- https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/Ueberblick/Institutionen/Ethikkommissionen/_node.html
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