Es gibt ja diese Headlines, bei denen ich denke: Jaa! Wäre ich jünger/flexibler/woanders, würde ich genau das gern machen! Z.B. Future Jobs: KI-Ethik. Die t3n titelte im 4. Quartal 2023 „Dein neuer Job“ und führte KI-Ethiker:in in der Liste auf. Allerdings war sie so fair, den Titel schon mit Fragezeichen zu versehen. Wäre KI-Ethiker:in also für Geisteswissenschaftler:innen, besonders mit einer Ausrichtung auf Ethik, eine echte Perspektive? Ein nachfragegetriebenes Arbeitsfeld, zu dem wir nur noch „Hier bin ich“ rufen müssen?

KI-Ethiker:innen beschäftigen sich mit den ethischen Fragen, die mit dem Einsatz und der Entwicklung künstlicher Intelligenz entstehen. Dazu zählen z.B. die Bewertung von Risiken und potenziellen Auswirkungen von KI-Systemen auf Individuen und die Gesellschaft oder die Entwicklung von Richtlinien und Standards, um einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Technologie zu gewährleisten. Das bedeutet, dass sie an der Schnittstelle von Technologie, Ethik, Governance, Recht und Sozialwissenschaft arbeiten. KI-Ethik ist weiterhin oft nicht alleiniger Inhalt von Personen, die zu diesem Arbeitsfeld tätig sind; auch andere ethischen Fragen oder eine Arbeit im Bereich CSR sind aus geisteswissenschaftlicher Perspektive denkbar. Eher aus betrieblicher Sicht kann die Kombination aus KI-Ethik und Projektmanagement gedacht werden, und natürlich gibt es auch eine technische Herangehensweise, bei der Data Scientists oder Programmierer:innen in ethischen Fragen geschult werden. Daraus wiederum ergibt sich ein weiteres Einsatzgebiet für Geisteswissenschaftler:innen, nämlich ebenjene ethische Schulung derjenigen, die KI entwickeln, implementieren und anwenden.

Darum gehören zum Anforderungsprofil nicht nur ethisches Wissen und Urteilsfähigkeit, sondern die Fähigkeit, in interdisziplinären Teams zu arbeiten, effektiv zu kommunizieren und gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Da wir alle in den vergangenen Monaten erlebt haben, welche Dynamik in den KI-Themen steckt, und auch beobachten, dass viele Fragen noch in der Schwebe sind – etwa zur Regulierung von KI oder zu Fragen des Urheberrechts –, versteht es sich von selbst, dass kontinuierliche Weiterbildung und Anteilnahme an den fachlichen Diskursen für die KI-Ethik wichtig sind.

Als ich über KI-Ethik als Berufsfeld nachdachte, war ich zunächst von den Konzernstellen angezogen: AI Ethics Officer, nämlich Steven Mills (s. z.B. Generative AI Is Under Growing Scrutiny. Here’s What That Means. (bcg.com) oder Chris McClean, Autor von Avanade Digital Business | Avanade Digital Business). Tatsächlich ist es jedoch nicht so einfach, einen Überblick über das Feld in Deutschland und die Beschäftigungsmöglichkeiten zu gewinnen. ChatGPT gab aus, Unternehmen, die KI-Technologien entwickeln oder einsetzen, „benötigen … Ethik-Experten“. Laut einer Studie von PwC (2020) sehen im Arbeitsfeld KI-Ethik 56% der Entscheidungsträger den Mangel an Mitarbeitern mit den richtigen Kompetenzen als größte Herausforderung an. Auch Deloitte bestätigt dies:

„Viele Unternehmen haben mit allen Mitteln nach Data Scientists gesucht. Dabei waren die Anforderungen an diese Rollen ebenso facettenreich, wie dies im Bereich der Operationalisierung von KI-Ethik der Fall ist: Meist wurde eine vielfältige Mischung aus technischen und fachlichen Fähigkeiten gesucht, die kaum in einer einzelnen Person zu finden waren.“

KI-Ethik | Deloitte Deutschland

In der folgenden Empfehlung zur Zusammenstellung der Kompetenzen für ein KI-Ethik-Team fällt besonders eine Leerstelle auf, nicht wahr?:

  • „Geschäfts- und Branchenerfahrung
  • Technisches Wissen
  • Regulatorisches Wissen
  • Kommunikations- und Kollaborationsfähigkeiten“ (KI-Ethik | Deloitte Deutschland.)

Genau: Die Leerstelle ist die Expertise in Ethik. Folglich gibt es kaum Ausschreibungen. Mein Eindruck ist, dass neben diesem fachlichen blinden Fleck ein weiterer Faktor hinzutritt: Digitale Ethik wird in vielen Unternehmen auf der Führungsebene behandelt. Auch die beiden Beispiele oben, Steven Mills und Chris McClean, sind Führungskräfte. Führungsstellen werden nicht für Absolvent:innen ausgeschrieben; oftmals werden sie überhaupt nicht ausgeschrieben, sondern gescoutet oder aus dem Unternehmen heraus entwickelt. Insofern gibt es schon Möglichkeiten für Geisteswissenschaftler:innen – und sogar Bedarf, aber der Kontaktweg läuft nicht über Ausschreibungen, sondern über Initiative, Netzwerke und unternehmens- oder brancheninterne Weiterentwicklung.

So stellt sich der sichtbare Markt erneut deutlich stärker am klassischen Tätigkeitsfeld für Geisteswissenschaftler:innen orientiert dar: Wissenschaft, öffentlicher Dienst, Politikberatung, NGO jeweils mit Schwerpunktthema KI- oder Technologieethik einerseits, Freiberuflichkeit oder eigene Gründung andererseits. Hier finden wir auch Ausschreibungen inkl. der Nennung unserer Fächer, z.B. für das KI-Management unter ethischen und gesellschaftlichen Aspekten (E13, unbefristet, bei einer Kommune) oder Stellen im wissenschaftlichen Dienst, die sich u.a. mit KI-Ethik, Technikethik usw. befassen (E13, befristet). Das wiederum wirkt sich unmittelbar auf das Anforderungsprofil aus: akademische Qualifikationslaufbahn und professioneller Netzwerkaufbau zum Informationsfluss und zur eigenen Positionierung. Alternativ kann über Weiterbildungen in Datenschutz, (agiles) Projektmanagement, Data Analysis ein stärker interdisziplinäres, technisch angereichertes Profil gerade für Brückenstellen relevant sein, etwa für Projektkoordinationen zur KI-Didaktik, für die Personalentwicklung oder für Fachredaktionen zu Technik und Ethik.

Obwohl die KI-Ethik ein spannendes und aktuelles Feld ist, ist sie aus arbeitsmarktlicher Perspektive kein Selbstläufer. Geisteswissenschaftler:innen sollten proaktiv mit ihren Kompetenzen und Profilen sichtbar werden, sich an der Schnittstelle von Technik, Sozialwissenschaften und Ethik positionieren (was in vielen Studiengängen gar nicht so einfach ist), in die Schlüsselkompetenz Führung investieren und sich in die einschlägigen wissenschaftlichen und/oder wirtschaftlichen Netzwerke begeben, um am Informationsfluss über Chancen, freie Stellen, Nachfragen und Trends teilzuhaben.

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