Die Value Proposition Canvas

Viele Geisteswissenschaftler:innen tun sich schwer damit, den Wert ihrer Arbeit zu bestimmen. Mitunter ist es sogar verpönt; ich habe mehr als einmal die Abwehr erlebt, bei „Wertschöpfung“ gehe es doch nur um eine ökonomische Perspektive und Gewinnmaximierung. Das ist natürlich nicht der Fall, und es gibt mehr als einen Grund, sich mit der Wertschöpfung – auch der immateriellen – zu befassen, z.B.:

  • Es klärt die eigene Position und Motivation für geisteswissenschaftliche Arbeit.
  • Es hilft, die Wirkungen unserer Arbeit zu verstehen und besser zu steuern.
  • Wir können unsere Arbeit und unsere gesellschaftlichen Beiträge besser vermitteln.
  • Auch wenn Hochschulbeschäftigte gern die schnöde ökomische Perspektive von sich weisen, kennen sie sie doch allzu gut: Die Wertschöpfung ist selbstverständlicher Teil von Drittmittelanträgen. Sie wird lediglich kaschiert, z.B. im Rahmen der „Relevanz“.
  • Nicht zuletzt brauchen wir ein Verständnis für unsere Wertschöpfung, wenn wir uns selbstständig machen. Dabei wird rasch deutlich, dass Wertschöpfung „relativ“ ist, nämlich immer auf eine Zielgruppe bezogen. Brotgelehrte-Angebote etwa schöpfen für die meisten Handwerker:innen, die zufällig auf der Seite landen, allenfalls Unterhaltungswert, wohingegen sie für Geisteswissenschaftler:innen, die über ihren Beruf nachdenken, konkrete Lösungen enthalten und dabei unterstützen, professionelle Ziele zu erreichen.

Ich arbeite seit einigen Jahren mit der Value Proposition Canvas (VPC). Sie wurde von Alex Osterwalder als strategisches Werkzeug entwickelt, das dabei hilft, ihre Produkte und Dienstleistungen besser auf die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kund:innen abzustimmen. Meiner Erfahrung nach ist es eine einfache und zielführende Grundlage, um eine klare Vorstellung vom eigenen Angebot als Freiberufler:in zu bekommen.

Die folgenden Blogbeiträge befassen sich jeweils mit einer Wertangebotskarte und versammeln Beiträge zu geisteswissenschaftlichen Werten, die im Bereich der pragmatischen Produkte und Dienstleistungen, als Problemlösungen und als Gewinnbringer geschaffen werden.  Heute aber Teil 1:

Das Tool VPC

Die VPC besteht aus zwei Hauptkomponenten: dem Customer Profile und der Wertangebotskarte. Beide Teile arbeiten zusammen, um sicherzustellen, dass das Wertangebot den Bedürfnissen der Kundschaft entspricht, im Wesentlichen so:

Customer ProfileWertangebotskarte
Jobs und Aufgaben
Was muss erledigt werden? – Dies kann funktional, formal, sozial oder emotional sein.
Pragmatische Produkte und Dienstleistungen
Mit welchen Produkten und Dienstleistungen kann ich dabei helfen, diese Aufgaben zu erledigen oder der Kundschaft diese Aufgaben abnehmen?
Probleme
Was betrachtet die Kundschaft als Problem oder Hindernis? Was frustriert sie? Was kostet sie Geld, Zeit und Nerven?
Lösungen
Wie kann mein Angebot dabei helfen, die Probleme zu lindern, die Hindernisse zu beseitigen, Frust aufzulösen, Geld, Zeit und Nerven zu sparen?
Gewinne und Ziele
Was betrachtet die Kundschaft als Gewinn? Welche Ziele möchte sie erreichen? Was bringt ihr Geld, Zeit, Ansehen, Reichweite, Mitarbeitende, Bildung…
Gewinnbringer
Wie schafft mein Angebot Gewinn für die Kundschaft? Wie unterstütze ich sie darin, ihre Ziele zu erreichen? Wie verhelfe ich ihr zu mehr Zeit, Geld, Ansehen, Reichweite, Mitarbeitende, Bildung…

Im Seminar käme jetzt mit ziemlicher Sicherheit die Frage, ob das nicht alles eine Definitionssache sei, und ob man die Probleme (von denen ja niemand gern redet) nicht einfach als Gewinne ansprechen könne?
– Also JA: Natürlich ist es eine Definitionssache. Und wenn wir als Freiberufler:innen am Markt sein wollen, müssen wir definieren, ob wir die Probleme unserer Kundschaft lösen oder ihr helfen, zu wachsen und besser zu werden.
Und auch NEIN: Es ist nicht nur eine Definitionssache. Wenn die Kundschaft wirklich Probleme hat, dann braucht sie kein Definitionsgespräch zum intellektuellen Warmwerden, sondern Lösungen. Zum Beispiel: Ein Unternehmen findet keine Mitarbeitenden? – Dann braucht es einen schnellen Weg, neue Recruiting-Zielgruppen zu erschließen, und keinen Termin, um die Situation als Gewinn umzudeuten und mal darüber zu reflektieren, welche Chance darin steckt. Möglicherweise ergibt sich später im Prozess die Möglichkeit, diese Perspektivenänderung anzugehen.
An dieser Stelle habe ich in den Jahren als Brotgelehrte tatsächlich mehrere Kolleg:innen erlebt, die in den Fachkonventionen gefangen waren und zu wenig Empathie für das Bedürfnis der Kundschaft hatten.

Freiberufler:innen können die VPC dazu verwenden, die eigenen Dienstleistungen und Angebote präzise auf die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe auszurichten und damit das eigene Profil zu schärfen. Folgende Schritte sind dabei sinnvoll:

1. Definieren des Zielgruppenprofils:

  • Zielgruppe identifizieren: Wer sind die potenziellen Kund:innen? Sind es Einzelpersonen, Unternehmen ( – wer im Unternehmen?), Bildungseinrichtungen (- wer in der Bildungseinrichtung?), Museen (- wer im Museum?) usw. sein.
  • Aufgaben der Zielgruppe verstehen: Welche spezifischen Aufgaben will Ihre Zielgruppe erledigen? Zum Beispiel könnte eine Museumskuratorin Unterstützung bei der Recherche potenzieller Exponate für eine Sonderausstellung benötigen.
  • Gewinne und Probleme erkennen: Was erhofft sich die Zielgruppe von einer Lösung? Welche Hindernisse steht ihr im Weg?

2. Entwickeln der Wertangebotskarte:

  • Angebote definieren: Welche spezifischen Dienstleistungen oder Produkte können Sie anbieten, um die Aufgaben Ihrer Zielgruppe zu unterstützen?
  • Schmerzmittel bieten: Wie können Ihre Dienstleistungen die Probleme oder Herausforderungen Ihrer Zielgruppe lösen?
  • Gewinnbringer schaffen: Auf welche Weise können Ihre Angebote der Zielgruppe zusätzlichen Nutzen bieten?

Hier ist auch ein Fokus auf allein ein Wertangebot möglich. Z.B. adressieren freie Korrektoratsleistungen immer einen Schmerzpunkt bzw. ein Problem: fehlerhafte Texte. Das Angebot kann also die Korrektur fehlerhafter Texte für unterschiedliche Zielgruppen sein, statt für eine Zielgruppe neben dem Korrektorat auch Angebote für tägliche Aufgaben oder zusätzlichen Nutzen zu entwickeln.

3. Abgleich zwischen Kundenprofil und Wertangebotskarte:

  • Nun verbindet Ihr Eure Angebote (Dienstleistungen, Schmerzmittel und Gewinnbringer) direkt mit den Problemen, Zielen und Aufgaben der Zielgruppe. Dabei passt Ihr das Angebot gegebenenfalls an, um eine optimale Übereinstimmung zu gewährleisten.

Ein freiberuflicher Historiker stellt fest, dass die Museen seiner Stadt mit sinkenden Publikumszahlen kämpfen. Das Kundenprofil könnte beinhalten, dass Museen (Kunden) Ausstellungen erstellen möchten, die sowohl informativ als auch interaktiv sind (Kundenaufgabe), mit denen sie neue Zielgruppen erreichen (Kundengewinn), dabei aber unter Budgetbeschränkungen und bildungsbürgerlichem Dünkel leiden (Kundenproblem).

Die Wertangebotskarte des Historikers könnte spezialisierte Beratungsdienste zur Gestaltung von interaktiven Ausstellungen (Produkt/Dienstleistung), Unterstützung im Fundraising (Schmerzmittel) und Outreach-Konzepte (Gewinnbringer) umfassen.

Aus meiner Arbeit in der Beratung und auch für meine eigene Entwicklung ist die VPC nicht mehr wegzudenken. Ich halte sie für ein zugleich schlichtes und sehr wirkungsvolles Werkzeug, um Dienstleistungen auf die Zielgruppe auszurichten, und so – gerade als Geisteswissenschaftler:in – aus dem dauernden Grübeln über sich selbst, die eigenen Stärken und Potenziale, auszubrechen. Durch die klare Strukturierung des Zielgruppenprofils und der Wertangebotskarte können wir differenziert Aufgaben, Probleme und Ziele adressieren. So können wir besser benennen, worin unsere Wertschöpfung besteht – und auch, wie wir unsere eigene Rolle am Markt verstehen:

  • Mit Fokus auf Aufgaben, die Organisationen nicht aus eigenen Ressourcen erledigen können, sind wir die ERGÄNZUNG, also externe Partner:innen oder temporäre Teammitglieder.
  • Mit einem Schwerpunkt auf Problemlösung sind wir die INTERVENTION, die Hilfe leistet, Schwierigkeiten lindert oder beseitigt, Risiken abfedert.
  • Wenn wir überwiegend im Bereich der Gewinnorientierung und Potenzialentfaltung bewegen, sind wir die TRIEBKRAFT, die Innovation ermöglicht, erfolgsorientierte Prozesse implementiert, Mitarbeitenden hilft, ihre Talente zu entfalten und einzusetzen.

Hier können wir durchaus auch mit unseren Persönlichkeitsmerkmalen abgleichen, ob die Rolle zu uns passt – Menschen mit hohem Triebkraftfaktor werden möglicherweise nicht glücklich, wenn sie den ganzen Tag Probleme lösen, aber nicht ins Wachstum kommen, und umgekehrt sind Menschen, die gut Probleme lösen können, möglicherweise überfordert oder irritiert, wenn kaum Probleme vorliegen und wachstumsorientiert gearbeitet werden soll. Insofern eignet sich die VPC auch zur Selbstreflexion bezüglich der eigenen Perspektive auf die Wertschöpfung.

Unser Angebot für die Freien Berufe – Brotgelehrte – der Anwendungsfall für die Value Proposition Canvas zur Schärfung des Angebots bei Gründungen und Neuausrichtung nach einigen Jahren der Berufserfahrung.

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