Im letzten Beitrag haben wir uns damit beschäftigt, wie man im Bewerbungsprozess mit einer psychischen Beeinträchtigung umgehen kann – wann Offenheit sinnvoll ist und wie man seine Grenzen schützt. Nun möchte ich einen Schritt weitergehen und drei Empfehlungen aus der Beratung teilen.

Ich finde es wichtig, eine Datengrundlage zu schaffen, damit eine Abgrenzung zwischen als normal empfundener Leistungsfähigkeit und eingeschränkter Leistungsfähigkeit möglich wird. Wenn Du Daten hast, kannst Du verlässlich kommunizieren und Lösungen anbieten. Unruhe entsteht meist, weil es für andere keine berechenbare Grundlage gibt und so „gefühlte“ und „wahrgenommene“ Leistungsfähigkeit an die Stelle von datenbasierten, messbaren Leistungen treten. Je klarer Du definierst, was „Leistung“ ist und wie sie messbar wird, umso besser kannst Du Deinen Beitrag kommunizieren. Zugleich würde so das Thema verschoben, weg von der Erkrankung, hin zu Aufgaben, Leistungsdefinition, Erfolgsmessung.

Fragen könnten sein, zunächst hinsichtlich der Leistungsfähigkeit:

  • Was ist Deine Leistungsfähigkeit, wenn es Dir gut geht?
  • Wie misst Du diese Leistung?
  • Was ist Dein „sehr gut“, „gut“ oder „zufriedenstellend“?
  • Entspricht diese Leistungsfähigkeit dem Durchschnitt, liegt sie darüber oder darunter?
  • An wie vielen Tagen in einem bestimmten Zeitraum bist Du mindestens zufriedenstellend leistungsfähig?

Auf der anderen Seite hinsichtlich der eingeschränkten Leistungsfähigkeit:

  • Wie oft kommen Einschränkungen der Arbeits- und Leistungsfähigkeit tatsächlich vor?
  • Wie äußert sich eingeschränkte Leistungsfähigkeit?
  • Wie stark ist die Leistungsfähigkeit dann tatsächlich eingeschränkt – nur von „sehr gut“ auf „zufriedenstellend“, oder von „herausragend“ auf „wochenlang krankgeschrieben“?
  • Was, wie viel kannst Du unter den Bedingungen arbeiten?
  • „Genügt“ die eingeschränkte Leistungsfähigkeit für Routineaufgaben?

Nun kannst Du in die Beobachtung gehen, z.B.:

Bist Du bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit ein paar Stunden mindestens zufriedenstellend leistungsfähig, jedoch nicht den ganzen Tag? Oder benötigst Du längere Pausen mit der Möglichkeit, zu schlafen oder Sport zu treiben?

Dann läge eine Lösung in der Flexibilisierung der Arbeitszeit, z.B. mit Arbeitszeitkonten. Das könntest Du recherchieren oder erfragen bzw. verhandeln.

Unterlaufen Dir bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit kognitive Fehler?

Dann läge eine Lösung in der Organisation der Aufgaben: auf Zeiten verschieben, in denen es Dir besser geht, oder Abgeben an Kollegen, die während dieser Zeit leistungsfähiger sind. Organisationen, die Systeme wie Job Rotation kennen, sind meist resilienter gegenüber Leistungsschwankungen als Organisationen mit starren Zuständigkeitskonzepten – dies könntest Du bei der Auswahl passender Arbeitgeber berücksichtigen oder erfragen.

Sollte sich bei der Datenerfassung herausstellen, dass die Phasen eingeschränkter Leistungsfähigkeit zur Folge hätten, dass Du die Aufgaben der Stelle nicht vollständig/angemessen erfüllen kannst oder ein Tätigkeitsbezug vorliegt, Du also manche Aufgaben aufgrund Deiner Einschränkung gar nicht ausführen kannst, sollten Arbeitgeber und Vorgesetzte genügend Zeit und Entscheidungsgrundlagen haben, reagieren zu können (z.B. mit der Neuorganisation von Verantwortungen und Zuständigkeiten, der Anpassung von Zeitplänen, Job Sharing …). Dann ist es nicht sinnvoll, dies zu verschweigen. Auch hier lohnt die Kontaktaufnahme zu den einschlägigen Beratungsstellen der Organisation, der Branchenvertretung oder Arbeitnehmervertretungen.

Letztlich ist es für Organisationen Normalität, dass Mitarbeitende erkranken, sich verletzen, Care-Arbeit übernehmen, in der einen oder anderen Art temporär oder dauerhaft „gehandicapt“ sind. Eine eingeschränkte mentale Gesundheit ist also in dieser Hinsicht eine Normvarianz. Wir könnten die Frage auch andersherum stellen: Wer ist eigentlich dauerhaft vollumfänglich leistungsfähig?

Eine Minderheit.

Es gibt darum Vorgänge und Maßnahmen, die die dann entstehenden Lücken kompensieren oder managen sollen: flexible Arbeitszeiten, Vertretungspläne, Springer:innen, Überstunden, Umschichtungen, Zeitarbeit, Outsourcing…

Schön wäre es natürlich, die Organisationen werden so weiterentwickelt, dass sie selbst die mentale Gesundheit fördern oder zumindest nicht beeinträchtigen.

In den unmittelbaren Arbeitsbeziehungen habe ich es als meist gut und sinnvoll erlebt, über die Krankheit bzw. Symptome zu informieren, damit die Kolleg:innen Verhalten besser einordnen und verstehen können. Dabei ist meine Erfahrung, dass ein proaktives Verhalten nicht nur bezüglich der Offenheit im Umgang mit der Erkrankung gut ist, sondern diese Offenheit direkt einschließt, welche Maßnahmen man selbst trifft und wie die anderen reagieren oder unterstützen können. Z.B.:

  • „Wenn ich unter Stress beginne, zu weinen, solltet Ihr wissen, dass das einfach eine Stressreaktion ist, die ich nicht gut kontrollieren kann. Bitte nehmt es nicht persönlich. Ihr helft mir dann am besten, wenn Ihr mir 5 Minuten gebt, damit ich mich wieder regulieren kann/ einfach sachlich weitersprecht … – Ich habe gelernt, wie ich mich in diesen 5 Minuten wieder beruhigen kann.“
  • „Wenn eine Panikattacke auftritt, kann es für Außenstehende sehr verunsichernd sein. Ihr solltet wissen, dass… Ich selbst kümmere mich darum, dass es besser wird, indem ich… Falls es mich mal erwischen sollte, und Ihr seid dabei, könnt Ihr folgendes tun…“

Je handlungsfähiger und kompetenter sich diejenigen fühlen, die mit starken Gefühlen und anderen Äußerungen psychischer Erkrankung konfrontiert werden, umso besser und leichter funktionierte die Zusammenarbeit.

Darüber hinaus gibt es arbeitsmarktliche Maßnahmen, die sowohl Dich als auch Deinen Arbeitgeber unterstützen sollen: Rehabilitation nach längerer Erkrankung, Jobcoaching als begleitende Maßnahme, Arbeitstherapie, falls die Arbeit selbst Auslöserin der Erkrankung ist, und das betriebliche Gesundheitsmanagement. So kannst Du eine unterstützende Umgebung für Dich gestalten, um langfristig arbeitsfähig zu bleiben.

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