In den Brotgelehrte-Workshops gibt es in der Regel eine Arbeitsphase, die für die Planung konkreter nächster Schritte vorgesehen ist. Häufig rege ich an, Jobmessen zu besuchen. Ich kann dann recht sicher mit der Reaktion rechnen, dass Jobmessen frustrierend seien, weil es keine, wenige oder nur mittelbare Angebote für Geisteswissenschaftler*innen dort gebe. Die übrigen Unternehmen sagten mehr oder weniger freundlich, sie seien nicht interessiert.

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Zum Beispiel so: An der Uni Frankfurt findet nun seit drei Jahren die spezialisierte Jobmesse „Karriere für den Geist“ statt. Studierende der TU Dresden initiierten gemeinsam mit dem Career Service ebenfalls eine Jobmesse für Geisteswissenschaftler*innen. – „Ja, aber hier, wo ich bin, ist leider nicht Frankfurt oder Dresden“, mögen Sie nun denken, „und ich kann aus guten Gründen nicht dorthin fahren, und bis November will ich auch nicht warten.“

Also müssen Sie auf das reagieren, was Sie am Ort haben: vermutlich eine Standard-Uni-Karriere-Messe mit regionalen Mittelständlern, ein paar Konzernen, Recruiting- und Personalagenturen, Ämtern und Behörden. Vermutlich wird niemand dort sein, der Ihnen spontan einen Praktikums- oder Einstiegsplatz anbietet. Und vielleicht fragen Sie sich, wo denn all die Geisteswissenschaftler*innen sind, die angeblich Unternehmen (mit)gründen, als Personaler gesucht wurden oder erfolgreich freiberuflich gestartet sind. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen schreiben, dass Jobmessen für kleine Unternehmen und Freiberufler*innen oft kein geeignetes Recruiting-Instrument sind, sondern persönliche Verbindungen und eine spezifische Auswahl der Zielgruppe angemessener scheinen und Ressourcen schonen. Was wiederum andere Kontaktwege als eine Jobmesse nahelegt, aber das ist ein weiteres Kapitel.

Warum also fällt es Geisteswissenschaftler*innen auf Jobmessen so schwer? Letztes Jahr hatte ich die Gelegenheit, drei Messen zu besuchen. Ich stellte mir die Aufgabe, etwas über unser Fremdbild herauszufinden: Was wissen – oder glauben zu wissen – eigentlich unsere Gesprächspartner*innen an den Ständen über uns? Ich hatte die Hypothese, dass Gespräche mit Vertreter*innen fachfremder Unternehmen häufig auch deshalb so demotivierend verlaufen, weil unbekannt ist, was Geisteswissenschaftler*innen können bzw. für welche Stellen sie überhaupt in Frage kommen. Mit diesen Fragen ging ich an die Stände: „Wenn Studierende aus den Geisteswissenschaften zu Ihnen kommen, wissen Sie, was sie von Ihnen erwarten können? Wissen Sie, welche Fächer unter diesem Sammelbegriff gefasst sind? Können Sie einschätzen, wo evtl. Einsatzmöglichkeiten in Ihrem Unternehmen sind?“

Zunächst die gute Nachricht: Alle Gesprächspartner*innen haben diese Fragen ernst genommen und sich die Zeit genommen, nachzudenken und zu antworten. Eine Auswahl:

  • „Geisteswissenschaften – da erwarte ich jemanden, der Psychologie studiert hat.“ (Automobilindustrie)
  •  „Wir sind natürlich offen für Geisteswissenschaftler*innen. Allerdings sollte der BWL-Anteil Ihres Studiums erkennbar sein.“ (Einzelhandel; hier wurde gezielt nach BWL-Absolventen für ein spezialisiertes Trainee-Programm gesucht, bitte nicht auf die Floskel „Es wird nur nach BWLern gesucht“ übertragen.)
  • „Uns ist das Fach egal. Die Kandidat*innen gehen durch ein Assessment-Center, da fällt die Entscheidung.“ (E-Commerce)
  • „Ich habe keine Ahnung, was die Leute da studieren und was sie können. Eben war ein Germanist da. Ist das wie das Schulfach Deutsch? Ich habe keine Ahnung, was er im Studium macht. Kommen Sie doch mal in Ruhe ins Unternehmen, das interessiert mich.“ (Agrartechnik)
  • „Sie haben Geschichtswissenschaften studiert? Ich wusste gar nicht, dass man das auch nicht auf Lehramt studieren kann.“ (Öffentlicher Dienst)
  • „Geisteswissenschaften? Ich kann Ihnen dazu nichts sagen, da sollten wir auf die Chefin warten.“ (Consulting)

Nun könnten wir den drohenden Untergang des Abendlandes beklagen, wenn andere Akademiker*innen nicht einmal wissen, welche Fächer unter die „Geisteswissenschaften“ fallen. Doch erstens führt das zu nichts, und zweitens muss ich für meinen Teil eingestehen, auch nicht viel mehr über die Arbeitsmärkte anderer Akademiker*innen zu wissen. Ich wusste z.B. nicht, was genau ein Unternehmen in der Automobilindustrie beforscht, wie ein solches Unternehmen organisiert ist und wirtschaftlich agiert und wo entsprechend ein Bedarf für geisteswissenschaftliche Inhalte oder Methoden sein könnte. Ich wusste nicht, wie ausdifferenziert Trainee-Programme multinationaler Konzerne sein können – manche generalistisch, andere spezialisiert. Ich wusste nicht, wie E-Commerce-Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen finden, bislang kannte ich nur das Interface, mit dem ich einkaufen konnte, den prominenten Gründer und die Berichterstattung über Arbeitsbedingungen.

Wieso ging ich davon aus, die Unternehmensvertreter*innen auf der Messe wüssten etwas über Studiengänge, die sie nicht studiert haben, die im Rahmen ihrer Tätigkeiten nicht auftauchen und die zunehmend unterschiedliche Namen tragen? Woher soll ein Außenstehender wissen, dass unter „Germanistik“ ein Bündel von Studiengängen zu fassen ist, zu denen z.B. gehören: Interkulturelle Germanistik, germanistische Literaturwissenschaft, germanistische Linguistik, Deutsch (Lehramt), Deutsch als Fremdsprache, Germanistik: Literaturvermittlung, Auslandsgermanistik, Deutsche Philologie, Germanistik: Kultur, Transfer und Intermedialität, Deutsche Klassik im europäischen Kontext, Ethik der Textkulturen. Könnten Sie – als Studierende oder Absolvent*in – Außenstehenden die Unterschiede und Notwendigkeiten dieser Ausdifferenzierung erklären?

Mein Fazit der Gespräche ist: Wir müssen mehr über unsere Fächer und unsere individuelle fachliche Identität erzählen können, und wir müssen mehr fragen, um Erfahrung darin zu sammeln, wo wir Anschlussmöglichkeiten in fachfremden Arbeitsmärkten sehen. Wir können klassische (also nicht eigens auf Geisteswissenschaftler*innen spezialisierte) Jobmessen als Lernveranstaltung deuten. Hier erfahren wir etwas über Arbeitskulturen, die uns fremd sind. Hier erleben wir, wie relativ Ratgeberaussagen zu bewerten sind: Manchmal sind es persönliche Befindlichkeiten, Sympathie, ist es der Moment, an dem der Stand nicht belagert wird und die Geschäftsführung anwesend ist, die ausschlaggebend sind für einen weiteren Kontakt und wichtige Informationen, nicht primär die Frage, ob drei zusätzliche Semester nun alles zerstören oder ob man mit Masterabschluss überqualifiziert sei. Für mich sind Jobmessen Orte echter Begegnungen. Und bislang bin ich tatsächlich immer, wenn ich auf einer Messe war und wissen wollte, welches Fremdbild von Geisteswissenschaftler*innen kursiert, ermuntert worden, „mich mal zu melden“.

Zur Vorbereitung und Ermöglichung positiver Begegnungen, die Kontakte, Lernen und positive Resonanz ermöglichen, könnte es also zählen:

  1. Nutzen Sie die Selbstbeschreibungen der Fächer, z.B. im Modulhandbuch oder in Broschüren für Studieninteressierte, um sich in Erinnerung zu rufen, welche übergeordneten Verbindungslinien für Ihre Studienpraxis es gibt. Informieren Sie sich darüber, ob Ihr Fach an anderen Hochschulen möglicherweise einen anderen Namen trägt, und überlegen Sie, wie Sie Ihr Studium auf dieser Grundlage beschreiben möchten. Germanistik etwa kann aus dem Schulfach Deutsch heraus verstanden werden, aber dann braucht Ihre Schilderung den Unterschied zwischen Allgemeinbildung und spezialisiertem Studium, möglicherweise eine Abgrenzung oder Verbindung zu anderen Studiengängen oder Benennungen an anderen Hochschulen, und ggf. auch ein paar Beispiele für konkretes Arbeiten oder (akademische) Anwendungsgebiete. Sie bemerken mit der Zeit, dass je nach Gesprächspartner*in unterschiedliches Vorwissen zu unseren Studiengängen besteht. Überlegen Sie, wie Sie die Brücke schlagen wollen und was das Minimum ist, das bei Ihrem Gegenüber zu den Vorzügen und der Professionalität Ihres Studiums ankommen sollte.
  2. Finden Sie selbst eine positive Haltung zu Ihren Fächern. Sie haben sich vermutlich aus positiven Gründen und einer fachlichen Motivation für Ihr Studium entschieden, und falls Sie nicht „auf Lehramt“ studieren, gibt es dafür auch Gründe, die Einfluss auf Ihr professionelles Profil haben. Rechtfertigen Sie sich nicht für ein vermeintlich „sinnloses“ Studium, sondern finden Sie eine stärkende Haltung und ein Sprechen über Ihr Studium, das Ihre Begeisterungsfähigkeit und auch Ihr rationales Abwägen verdeutlicht. Sie brauchen niemanden, der Ihnen sagt, dass es relativ schwierig ist, mit Geschichte und Ethnologie in den Arbeitsmarkt einzusteigen, das wissen Sie schon und wussten Sie vermutlich sogar recht früh. Sie haben sich dennoch so entschieden. Es lohnt sich, zu dieser bewussten Entscheidung eine Haltung einzunehmen, und sei es, übungsweise, um herauszufinden, wie Ihre Haltung eigentlich wirklich ist. Vielleicht hat Sie eine pessimistische Fach-Selbsterzählung schon so durchdrungen, dass Sie sich als positive, energische und fröhliche Absolventin überhaupt erst neu entdecken müssen. Dafür hilft es, einen Spiegel zu haben. Und den finden Sie in der Begegnung mit Fachfremden.
  3. Sie könnten eine Fähigkeiten- und Wissensliste vorbereiten: Was haben Sie im Studium gelernt, und welche Beispiele kennen Sie für Anwendungszusammenhänge? Ja, das ist erheblich brotgelehrt und nicht nach Erkenntnis strebend. Ich habe es aber als gute Gesprächseröffnung erlebt, mit einem fachbezogenen Anwendungsbeispiel zu beginnen und zu fragen, ob aus den unternehmenstypischen Prozessen vielleicht vergleichbare Anwendungen bekannt sind? Oder wo genau die Unterschiede sind? Selbst, wenn es keine Analogie gibt, lernen Sie etwas über die Vielfalt von Unternehmenspraktiken und über das Wissen der Mitarbeitenden über ihr Unternehmen.
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