von Vincenz Schmarsow und Mareike Menne

Semesterstart, und alles ist anders als gewohnt. Vielleicht sorgenbehaftet, vielleicht stressfreier als sonst. Beide Varianten können auf unterschiedliche Art die Motivation zum Abschluss von Arbeiten, zum Lernen, zur verbindlichen Teilnahme an online-Kursen erschweren. Die Sorgen, weil sie Aufmerksamkeit und Energie auf sich ziehen; weil die Schließungen von Kultureinrichtungen und der Einnahmeausfall der Kulturwirtschaft dem ewigen elenden Diskurs der arbeitsmarktlich angeblich nicht zu gebrauchenden Geisteswissenschaftler*innen Futter geben; weil finanzielle Unabhängigkeit in noch weitere Ferne gerückt ist. Die relative Stressfreiheit, weil die äußeren Impulse fehlen oder in größerer Distanz besser ignoriert werden können, weil es mehr Kraft kostet, ein Rad immer wieder in Gang zu setzen statt einfach nur am Laufen zu halten, weil die individuelle Ablenkungskultur online müheloser gepflegt werden kann als die individuelle Lernkultur.  

Also her mit den Motivationsratgebern! Wir haben uns durch ein Arschtritt-Buch, irgendwas mit Mindset, David Allen natürlich und (Selbst)Disziplinierungsratgeber gelesen und das ein oder andere ausprobiert. Dabei stellten wir fest, dass für Vincenz Tipps funktionieren, für die Mareike einen vollständigen anderen Alltag etablieren müsste und umgekehrt. Am tückischsten war aber eine Kernkompetenz der Geisteswissenschaftler*innen: Kritik üben können. Wir haben so viel Kritik geübt, dass wir uns spielend wochenlang im Lesen und Kritisieren verlieren könnten, dabei richtig was schaffen, aber am Ende stünde nichts auf dem Papier. Damit sind wir der Lösung, warum viele Motivationschecklisten für Geisteswissenschaftler*innen nicht funktionieren, einen Schritt näher. Unsere Methoden sind nicht grundsätzlich strategisch-lösungsorientiert. Wir arbeiten im Diskurs, und der kann offen sein, unendlich. Methode, kritische Auseinandersetzung und Interpretation, mithin Erkenntnisgewinn sind das Ziel von Lehre und Forschung – eben nicht immer zeitgemäß Transfer, Anwendung und Public Understanding of Virology.  

Ja, das kann zu frustrierenden Momenten führen. Arbeitsergebnisse sind häufig nicht in Stein gemeißelt und definitiv, sondern dem steten Wandel und Diskurs ausgesetzt, abhängig auch von dem System, in dem sie entstanden sind. Das gilt im Großen für die Perspektiven der postkolonialistischen oder diversitätsgerechten Geisteswissenschaften.  Es gilt im Kleinen für einen Essay, dessen Abgabetermin in weite Ferne rückt, wenn ein wohlmeinender Freund empfiehlt, doch nochmal netzwerktheoretisch heranzugehen, nur als kleiner Tipp, er hab da neulich Latours Buch im Schaufenster der geschlossenen Buchhandlung gesehen.

Motivation kann auf der Strecke bleiben, wenn sie kontextfremd abgegriffen wird. Coronadebatten oder sonstige emotional aufgeladene Meldungen samt Forum auf ihre Argumentationsstrategie und Belegsysteme hin abklopfen und über angemessene Beiträge nachdenken? Kein Problem. Der Kopf ist permanent beschäftigt. Erschöpft und aufgewühlt bleibt keine Energie mehr für die eigentlichen Aufgaben. 

Motiviert zu bleiben ist anstrengend, wenn man sich mit Studienrahmenbedingungen oder nicht funktionierenden Lernmanagementsystemen rumplagt – übrigens für Dozierende ebenso wie für Studierende.  

Bleib mal dauerhaft motiviert, wenn das persönliche Umfeld Zweifel sät oder bestärkt und Erfolge nicht mitfeiert. Irgendwann kann man sich selbst nicht mehr leiden, wenn man auf “Und was machst du dann damit?” den Enthusiasmus-Modus anschaltet. 

Was kann helfen? 

  • Wir trennen explizit zwischen erkennenden, verstehenden, diskursiven und umsetzenden, produktiven Arbeitsphasen. Wenn ich verstehen will, öffne ich meine Geisteshaltung auf „diskursiv“. Wenn ich ein pragmatisches Ergebnis haben möchte oder muss, schalte ich um auf „strategisch“. Wir haben für uns Übergangsmarker und -symbole entwickelt – zwei verschiedene Arbeitsplätze, Tageszeiten, Schriftarten, Teesorten; Ihr versteht. Der scheinbar unproduktive Teil der Arbeit wird auf diese Weise wertgeschätzt, aber auch zeitlich begrenzt. So machen wir uns nicht vor, wahnsinnig viel zu schaffen, wenn wir noch ein Buch zur Hand nehmen, statt endlich das eigene zu vollenden. 
  • Wir nutzen die Erkenntniskategorie Zeit, insofern wir ja theoretisch wissen, dass Prozesse unterschiedliche Geschwindigkeiten haben. Schreiben dauert länger als Sprechen, Erzählzeit ist nicht notwendig erzählte Zeit, Material sammeln und ordnen kann Monate dauern, und dann verdichtet sich alles scheinbar plötzlich in lichten Momenten.  Wir beobachten unser Lernen und Arbeiten in der Zeit und strukturieren unsere Pläne rhythmisch, angepasst an verschiedene Geschwindigkeiten. Wir führen aktiv die Möglichkeit für lichte Momente der Verdichtung herbei. Wir verstehen, dass Prokrastination dann die unbedingt richtige Strategie ist, wenn das Material grundsätzlich bereitliegt und eine Deadline aus der Aufgabe kein Lebensthema macht. 
  • Komplexitätsdrang unterbinden. Wir können problemlos Probleme in größeren Kontexten verorten. Warum kann ich diesen Website-Text nicht schreiben? Es muss was mit meiner Biografie zu tun haben. Ich sollte also erstmal genau verstehen, was mich hindert. Bis dahin wäre jede Äußerung unseriös und ohnehin vorläufig. Kennt Ihr das? Unser Motivations-Gedanke: Manchmal – jetzt! – genügt es, das Symptom zu kurieren. Diese Art von Komplexitätsdrang zeigt uns nicht unsere Leistungsfähigkeit, sondern ist nur wichtigtuerisches Ausweichen. 

Wir haben auf der Grundlage jahrelanger Arbeit mit Geisteswissenschaftler*innen auf allen Qualifikationsstufen Playbooks erstellt, um euch zu helfen, einen individuellen, fachgerechten Motivationsstil zu finden.  Sie halten Tipps, Strategien und Erfahrungswissen bereit, um in diesen volatilen, schwer planbaren Zeiten gut, ästhetisch und freudenvoll arbeiten zu können. 

Seid gespannt!  

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