Ich begab mich auf die Suche nach möglichst aktuellen und innovativen Tipps für das perfekte Bewerbungsoutfit für Geisteswissenschaftler*innen. Am Ende meiner Recherchezeit musste ich feststellen: Es gibt nichts Neues zu berichten. Die Empfehlungen haben sich im Gegensatz zur kurzlebigen Mode seit Jahren nicht wesentlich verändert. Sie enthalten Klischees, Zwänge und Einheitsbrei. Auf unzähligen Seiten fanden sich die immer gleichen Tipps. Neben den allgemeinen Hygienevorschriften, dass man möglichst gepflegt, gebügelt und gestriegelt zu einem Vorstellungsgespräch erscheinen sollte, versuchte man den unsicheren Bewerber noch etwas mehr zu verwirren, indem man ihm mit Begriffen wie Business, Business-Casual, Creative-Casual und dem Casual-Friday seine Unzulänglichkeiten im Bereich Mode aufzeigte.

Unabhängig von den Stilrichtungen fußen alle Tipps auf der gleichen These: unterschiedliche Jobs = unterschiedlicher Dresscode. Dies ist insoweit langweiligerweise richtig, als dass Anzug, Hemd, Seidenbluse und Bleistiftrock bei klassisch-konservativen Berufsbildern in der Finanz- oder Versicherungsbranche immer funktionieren, während man im Marketing-Bereich die strikte Kleiderordnung durch eine Jeans-statt-Stoffhose-Variante aufzubrechen versucht. Ein Klischee, ganz klar, das dennoch seine Entsprechungen hat. Es bietet ein Gefühl der Sicherheit zu einem Zeitpunkt der eigenen Unsicherheit. Doch während diese konservativen Berufsbilder einen scheinbar in Stein gemeißelten Dress-Code abrufen können, der die Mode auch in Zukunft überdauern wird, scheint es ein Bewerber im innovativen bzw. kreativen Bereich schwerer zu haben. Die Aussagen diverser Ratgeberseiten zu dieser Problematik sind auch eher schwammig und wenig hilfreich. Zwischen „alles kann, nichts muss“, „weniger ist mehr“ und „zu viel des Guten“, bewegt man sich auf einem schmalen Grat im Werbe-, Medien- und Kreativbereich. Damit ist es offiziell: Für den berufstätigen Geisteswissenschaftler von morgen gibt es keine Modetipps.

Doch sind diese überhaupt nötig? Greifen diese Generaltipps im vermeintlichen Zeitalter des Individualismus überhaupt noch? Muss eine Lehramtsstudentin ein hochgeschlossenes, mausgraues Kostüm tragen, um als seriös wahrgenommen zu werden? Oder hat sie dann zu oft Johanna Spyri gelesen? Und ist die Germanistin gezwungen, eine dicke Brille vor den Augen und einen Dutt auf dem Kopf zu tragen, um ihre Belesenheit zu zeigen?
Der Einfluss von Kleidung und das Branchen-Schubladen-Denken sind hier mehr als deutlich. Legere und sportliche Outfits sind gleichbedeutend mit unseriös und unprofessionell. Verspielte oder figurbetonte Kleidung unterstellt dem Bewerber weniger Kompetenz. Was sagt die Kleidung über meinen Wissenstand aus?

Nichts, und das sollte sie, meiner Meinung nach, in Zukunft auch nicht. Und zugleich auch alles: Die Breite meiner Bildung, historische und soziale Zitate, die nicht komplexe Zuordnung zum Mainstream.
Allerdings ist Kleidung auch immer Kommunikationsmedium, gerade wenn man sein Gegenüber nicht kennt. Sie ist Ausdruck sozialer bzw. beruflicher Zugehörigkeit, und ein Bewerbungsgespräch hat soziale und berufliche Zugehörigkeit zum Ziel. Darum gelten natürlich auch für uns bei der Wahl des Outfits die drei Pfeiler des Dresscodes:
1. Branche,
2. Position,
3. Persönlicher Geschmack.

Es sollte das Ziel sein, ein Gleichgewicht zwischen angemessen und Wohlbefinden zu finden. Schließlich soll die Kleidung dich unterstützen und deine Fähigkeiten optisch gut übermitteln. Sie soll dich nicht verkleiden.
Aber abgesehen davon können wir mehr als Outfit und Kleiderkonsum. Es ist Zeit für Stil.

Referenzen

https://www.zalon.de/ztories/vorstellungsgespraech-kleidung/ (20.01.19 18:43 Uhr)

https://campusrookies.de/blog/kleidung-fuer-das-vorstellungsgespraech/ (20.01.19 18:19 Uhr)

https://www.campusjaeger.de/karriereguide/vorstellungsgespraech/kleidung (20.01.19 19:05 Uhr)

https://www.absolventa.de/karriereguide/koerpersprache/kleidung-vorstellungsgespraech (20.01.19 19:30 Uhr)

https://effeffeffkah.wordpress.com/2012/06/08/kleidung-vs-stil-der-fehler-der-studenten/ (22.01.19 11: 37 Uhr)

https://www.praktikum.info/karrieremagazin/bewerbung/vorstellungsgespraech-praktikum (22.01.19 12:04 Uhr)

analoge Lektüre

Frank Berzbach: Formbewusstsein. Eine kleine Vernetzung der alltäglichen Dinge, Mainz 2016, darin das Kapitel: Die Form der Kleidung.

Mehr zur Mode auf brotgelehrte.blog

Modejournalismus
Germanistik, Kunstgeschichte und Irgendwas mit Mode

 

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