In der facebook-Gruppe hatte ich in der letzten Woche Literatur zum sog. Hochstapler-Phänomen oder Impostor Syndrome vorgestellt und eine Ausführung dazu versprochen. Hiermit löse ich sie ein.

Die Bezeichnung „Syndrom“ weist schon in Richtung einer Krankheit, obwohl ein Hochstapler-Phänomen nicht konkret diagnostiziert werden kann. Wohl aber können unterschiedliche Krankheitssymptome zusammenfallen, die in ihrer Kombination ein solches Unwohlsein auslösen, dass die oder der Betroffene den Eindruck hat, es nicht allein bewältigen zu können. Oder es ist eine Begleiterscheinung anderer mentaler Beeinträchtigungen sein. In einer Studie von Gardner, Bednar et al 2019 gaben 20% der befragten Studierenden an, stark am Impostor-Phänomen zu leiden. Das macht es zum einen im Sinne eines guten, gesunden Studiums sinnvoll, genauer hinzuschauen und die Frage zu stellen, warum dies so ist und warum dies ausgerechnet im Hochschulkontext so stark auftritt. Und zum anderen wäre es natürlich schön, zu wissen, was man tun kann, wenn es eine*n erwischt.

Was ist das Impostor-Phänomen?

Eine verzerrte Wahrnehmung unserer selbst. Menschen mit Hochstaplersyndrom neigen dazu, ihre Erfolge auf äußere Umstände zu schieben: Glück, die Unfähigkeit anderer, sie korrekt zu bewerten, ausbleibende Konkurrenz. In der Folge befürchten sie, irgendwann „enttarnt“ zu werden – oder das Glück könnte ausbleiben, eine bewertungskompetente Person die mangelnde Eignung erkennen oder die Zusammensetzung der Gruppe die eigene Leistungsposition nach unten korrigieren. So leben sie in dem Unwohlsein oder sogar der Angst, irgendwann blamiert zu werden.

Manche treffen Vorkehrungen, damit diese Blamage ausbleibt. Sie bewerben sich darum erst gar nicht auf anspruchsvolle Stellen, melden sich nicht für karriererelevante Pitches und Präsentationen oder reichen Manuskripte nicht ein (ich erkenne mich selbst J). Andere verlieren ihre Energie, weil sie für alle Fälle vorbereitet sein wollen, sodass sie sich überarbeiten und sich „überausstatten“, bis sie die Übersicht und Kraft verlieren.

Warum ausgerechnet im Hochschulkontext?

Einerseits ist es verwunderlich, dass ausgerechnet in einem Kontext hoher Bildungsstandards und Bewertungsroutinen dieses Phänomen besonders stark auftritt. Vielleicht wird es auch nur – aufgrund dieser hohen Bildungs- und Reflexionsstandards – sensibler wahrgenommen und kompetenter ausgedrückt als in anderen sozialen Zusammenhängen. Andererseits bietet aber gerade der Hochschulkontext der oder dem Impostor eine Reihe von Anknüpfungspunkten:

  • Die Bewertungsroutinen gibt es zwar, aber vergleichbare Standards gibt es nicht überall und unbedingt. Oder wissen Sie, was genau den Unterschied zwischen summa und magna ausmacht? Das diffuse Gefühl, die gute Bewertung wäre möglicherweise unter anderen Bedingungen oder bei anonymisierter Lektüre ganz anders ausgefallen, ist mitunter berechtigt – jedoch nicht wegen der erbrachten Leistung, sondern vor allem wegen der mangelnden Transparenz der Bewertungssituation.
  • Im Hochschulkontext gibt es durchaus etwas zu gewinnen: Stipendien oder Preise etwa. Und mit „gewinnen“ können wir stets „Glück“ assoziieren. Was die Gefahr birgt, in einer anderen Situation eben dieses Glück nicht erneut zu haben. Damit wird der Weg weniger planbar, der eigene Einfluss geringer.
  • Hochschulen sind stark kompetitive Organisationen, insbesondere dann, wenn es um knappe Ressourcen geht, etwa freie Dauerstellen. In Auswahlverfahren stellt man rasch fest, dass es ein, zwei Menschen gibt, die mindestens ebenso gut sind wie man selbst. Doch die Kommission muss sich entscheiden, und so kann insbesondere in Konfliktsituationen die Erinnerung daran auftauchen, dass nicht nur Leistung ein Kriterium zur Aufnahme war.

Weitere Faktoren treten seit einigen Jahren hinzu: Ausweitungen des Arbeitsbereichs, das Gefühl von persönlicher Unsicherheit, tatsächliche Wissenslücken aufgrund der beschleunigten Transformation etwa im Bereich Digitalisierung, die eigene Andersartigkeit mit Blick auf die soziale Norm oder die verwirrende Rollenvielfalt, die in kürzester Zeit aus einem fachlichen Gespräch auf Augenhöhe eine Prüfungssituation oder ein Weisungsgespräch entstehen lassen kann .

Was können wir tun?

Die Ursachen zu beheben ist also ganz offensichtlich ein umfangreiches Unterfangen. Was sind also gute Akuthilfen? In Blogeinträgen zum Impostor-Phänomen im Hochschulkontext gibt es einige sehr pragmatische Ratschläge, die Ihr einfach ausprobieren könnt:

In Workshops gehen wir jedoch noch etwas weiter. Wir finden heraus, welche Facetten des Phänomens wirklich bearbeitet werden sollen. Denn der Impostor hat ja eine Funktion, er weist auf etwas hin – und da gibt es etwas zu entdecken und zu entwickeln, das Euch zu (noch) besseren Wissenschaftler*innen machen kann. Vielleicht auf Perfektionismus – dann geht es um das richtige Maß. Vielleicht auf die Grenze zwischen Naturtalent und professionellem Methodeneinsatz – dann gilt es, sich strategisch zu erweitern. Vielleicht auf eine unausgewogene Verteilung Eures Einsatzes: Quantität zulasten der Qualität – dann könnte eine Bestandsaufnahme und Neuverteilung gewinnbringend und entlastend sein. Vielleicht auch auf verweigerte Führung und unzureichendes Feedback vonseiten Eurer Betreuenden – dann hilft eine Erweiterung des Netzwerks um Menschen, die bereit sind, sich wirklich mit Euch zu befassen und Euch helfen, zu wachsen.

Falls Ihr denkt: So ein Workshop würde mir wirklich guttun – nehmt gern Kontakt auf.

Und falls Ihr denkt: Ich möchte mich gern weiter einlesen, dann sind dies die Literaturtipps aus der facebook-Gruppe:

📖Jessamy Hibbert: The Impostor Cure, London 2019

📖Caroline A. Ritter: The Swan Effect. Thriving with Impostor Syndrome in the Digital Age, s.l. 2021

📖Sabine Magnet: Und was, wenn alle merken, dass ich gar nichts kann?, München 3.2020

📖Maximilian Lackner/Markus E. Huber: Angst vor Erfolg?, Wiesbaden 2014

📖Amy C. Edmondson: Die angstfreie Organisation, München 2.2021

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