Ich muss gestehen, ich habe das Thema nicht ernst genommen. Hinsichtlich der Mode trage ich, nun ja, einen Kleidungsstil, den man mit etwas Wohlwollen als „zeitlos“ beschreiben kann. Mehr noch: Ich glaube, dass die Ablehnung von Mode(n) den Wissenschaftler ähnlich distinguiert wie die Unfähigkeit, ein Ikea-Regal zusammenzuschrauben. Oberflächlicher Tand!
Ha! Den Wissenschaftler! Wir sehen hier ein klassisches Beispiel für die Werteprägung einer Gruppe, in der die Geschlechtsverhältnisse sich während des Qualifikationsprozesses umkehren. In der Germanistik sind 80% der Studierenden weiblich, aber 80% der Professoren männlich. So finden wir viele Studentinnen, die sich mit Mode beschäftigen, viele Absolventinnen, die „irgendwas mit Mode“ zum Beruf haben, und auch eine Handvoll Professorinnen, die Mode zum Forschungsobjekt wählten (s.u.). Die männlich geprägte peer group mit Deutungshoheit widmet sich nur selten der Mode.
Warum ich mit den Germanistinnen einleite? Sie sind die Geisteswissenschaftlerinnen, die ich am häufigsten bei der Beschäftigung mit Mode fand. Die andere große Gruppe sind die Kunsthistorikerinnen. Und in beiden Fällen gibt es unmittelbare Bezüge zum Studium, die ich in meiner Anpassung an ein rational-männliches Bild als „Wissenschaftler“ übersah.
Die Nähe zum Theater
Das Theater braucht neben den Darstellern und Regisseurinnen auch Kostümbildnerinnen, Modisten, Gewandmeister, Maskenbildnerinnen, Schneiderinnen, Schumacher – viele klassische Handwerksberufe, die allesamt etwas mit Mode zu tun haben. Darüber hinaus jedoch setzen diese Tätigkeiten eine hohe Belesenheit voraus: Welche Hutformen gab es zu welcher Zeit, wer konnte/durfte sie tragen, wie wurden sie gefertigt, welche Materialen standen zur Verfügung und wurden wie verarbeitet? Wie wurden Kleidungsstücke bezeichnet? Eignet sich dieses Stoffmuster eher für einen Vorhang oder für ein Kleid?
Als freie Kostümbildnerin an verschiedenen Häusern ist z. B. Mareike Delaquis Porschka tätig. Sie studierte zunächst Anglistik, Germanistik und Psychologie, anschließend Kostümdesign (in Hannover). Katja Hagedorn unterrichtet im Studiengang Bühnen- und Kostümbild an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Sie studierte Komparatistik, Germanistik und Anglistik und arbeitete anschließend als Regie- und Dramaturgieassistentin. (Lassen Sie sich nicht von der website durcheinanderbringen).
Bühnen- und Kostümbild können Sie auch an der Akademie der Bildenden Künste München studieren: Link.
Einen Überblick über Studienangebote zum Kostümdesign finden Sie hier.
Ein Beitrag in der brand eins beschreibt Tätigkeit und Hintergrund von Dorothea Nicolai, Kostümdirektorin der Salzburger Festspiele in der brand eins: Link
Einen guten Überblick zum Einstieg gibt das kostenlose PDF „Berufe am Theater“.
Handwerk
Vielleicht kennen Sie den Wunsch, am Ende des Tages mal ein Ergebnis in der Hand zu halten. Ich habe zu diesem Zweck gestrickt, gehäkelt und aus Muranoglas Perlen gedreht – sehr befriedigend, und ich bin damit nicht allein. Und was ist Weben, Stricken etc. anderes als die Herstellung von Text – und umgekehrt? So finden sich unschwer Absolventinnen, die diese haptische Art, Texte anzufertigen, in ein klassisches Handwerk überführten, z. B. die Goldschmiedinnen und Germanistinnen Z. Alexiewa und Marita Pál oder Michaela Weihs, die Germanistik, Slawistik, Kunst und Kunstgeschichte studierte und nun als Schmuckdesignerin arbeitet und lehrt. Auch Susanne Detemple absolvierte ein Magisterstudium der Germanistik und Kunstgeschichte, ehe sie als Schmuckdesignerin Werkstatt und Blog Idee und Form gründete.
Und es gibt auch den umgekehrten Weg: Volker Erbes lernte zunächst sein Handwerk als Feintäschner, dann studierte er Philosophie, Psychologie, Musik und Germanistik. Er lebt als freier Schriftsteller in Frankfurt.
Erneut bieten die Studieninhalte Fachwissen hinsichtlich Formen, Ideen, Verarbeitungsweisen, Einsatzmöglichkeiten, sozialen und kulturellen Kontexten etc., aber wesentlich auch hinsichtlich der Fachsprache.
Wissenschaft
Natürlich gibt es eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Mode in ihrer Vielseitigkeit, und dies nicht nur in Germanistik und Kunstgeschichte, sondern z. B. auch in der Kunstwissenschaft, Soziologie, Medienwissenschaft oder an FH-Studiengängen rund um Design.
Gertrud Lehnert, Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Uni Potsdam, forscht u.a. zu Modegeschichte und -theorie. Rainer Wendrich unterrichtet Kunst-, Design- und Kostümgeschichte sowie Modetheorie an der Uni Augsburg und an der Bayerischen Museumsakademie. An der TU Darmstadt hat Alexandra Karentzos eine Stiftungsprofessur für Mode und Ästhetik inne (sie sucht übrigens studentische Hilfskräfte). Einen Überblick über die Verwissenschaftlichung der Mode werden Sie hier finden:
Gudrun M. König/ Gabriele Mentges/ Michael R. Müller (Hg.): Die Wissenschaften der Mode, Bielefeld 2014 (Ankündigung)
Die Autorinnen arbeiten zur Kulturanthropologie des Textilen an der TU Dortmund.
Olga Schulisch-Höhle, Professorin an der FH RheinMain für Kommunikationstheorien im Fachbereich Gestaltung arbeitete u.a. zu Kommunikation und Schönheit.
An Hochschulen oder in Museen
Journalismus
Dass „irgendwas mit Mode“ durchaus auch „irgendwas mit Medien“ einschließt, belegen unendlich viele Beispiele aus dem Modejournalismus. Sie finden eigentlich alle Varianten: Profis und Amateure, klassische Printredakteure und Blogger, Spezialisten und Allrounder. Als „Idealweg“ in den Modejournalismus gilt ein Studium gleichen Namens an der Akademie Mode und Design (Standorte in Hamburg, Düsseldorf, Berlin, München). Es ist eine Privatschule, also fallen Kosten an. Es gibt viele Bewerber und u.a. darum eine Eingangseignungsprüfung. Aber dieses Studium gilt auch als Sprungbrett zu großen Modezeitschriften.
Natürlich eignet sich auch jede andere journalistische Ausbildung; für die Mode sind allerdings – wie für jede andere Sparte auch – Fachkenntnisse gefragt. Ebenso sind Praktika, Volontariate, freie MitarbeitAusbildung, sondern auch zur Blickweitung, zum Netzwerken, zur Entwicklung von Trendgespür und persönlichem Stil. Eine sehr breite Ausbildung und einen großen Erfahrungsschatz hat z. B. der Modefotograf (und ehemaliger Germanistikstudent) Rainer Bald.
Jenseits dieses klassischen Wegs haben sich inzwischen Blogs etabliert – sowohl als Möglichkeit, Erfahrung zu sammeln, als auch als veritable Erweiterung des Printangebots. Dabei ist unerheblich, dass altehrwürdige Journalisten Modebloggerinnen eher als schreibende Affen bezeichnen würden und sie keine Pässe für die New York Fashion Week bekamen; Modeblogs sind inzwischen sehr einflussreich und einige Unternehmen unterhalten selbst eines, etwa OTTO. Die nachfolgenden Links stammen sämtlich aus einer Liste der Top-20-Modeblogs in Deutschland. Nina Böhm (Studium der Kulturwissenschaft und Journalismus) bloggt bei Fashion Insider – die Seite hat inzwischen über eine Million Aufrufe. Im Lady Blog, Schmuckladen und im Style Blog von Hallhuber sind Germanistinnen tätig. Carl Jakob Haupt ist Autor, Musiker und Modekritiker auf dandydiary- nach einem Studium der Politikwissenschaften. Auch Kathrynsky studierte Politikwissenschaften. Milena Heißerer, Mitbegründerin von amazed, ist Kunsthistorikerin. Julia Stelzner studierte Geschichte und Politik und bedient neben ihrem Blog auch große, überregionale Printmedien.
Autorschaft, Dozenten
Schon mehrfach surfte ich über das Angebot der Germanistin und Kosmetikerin Katja Sauerborn. Vielleicht meint das Schicksal/ ein Computer, ich bräuchte einen Termin bei ihr. Auf den ersten Blick sah ich keinen Zusammenhang zwischen Studium und aktueller Tätigkeit, doch im Kleingedruckten stand: Freie Autorin für Beauty- und Gesundheitsthemen.
Ähnlich rätselte ich über das Suchergebnis zu Marion Lompa (Heilpraktikerin, Naturkosmetikerin und Ayurveda Kosmetik- und Wellnesstherapeutin), die Germanistik, Semitistik und Indologie in Marburg studierte. Doch auch hier ist eine Fortführung von Studieninhalten bzw. -werkzeugen in anderem Kontext zu erkennen: Von der Indologie zum Ayurveda ist es ein Katzensprung, von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin an einer Universität zur Dozentin an einer Fachakademie nur ein Kontext- und Zielgruppenwechsel.
Nebentätigkeiten und Praktika
Dass man als Studentin mit dem Modebloggen anfangen kann, zeigt und diskutiert Katharina in einem Beitrag auf Uniglobale. Studierende modeln, um das Studium zu finanzieren (oder einfach aus Freude, oder aus Ambition): Carolin, Kandidatin bei Germany’s Next Topmodel 2013, studiert u.a. Germanistik. Und ich durfte jüngst Charlotte Schroeter kennenlernen, ebenfalls Model und Studentin der Komparatistik. Ihre andere Nebentätigkeit besteht im Verfassen historischer Romane.
Falls Sie sich für einen Nebenjob als Model interessieren: Infos der Nebenjobzentrale. Velma ist der Verband lizensierter Modelagenturen, der zu seriöser und unseriöser Vermittlung informiert. Praktikumsplätze für Modelagenten bzw. -booker finden Sie aktuell hier.
Sie merken schon, ich kann gar nicht wieder aufhören. Ich liebe solche Eisbergspitzen. Um diese aufstörende Energie abzulenken, habe ich mich mit Hochglanzmodemagazinen eingedeckt und staune nun vor mich hin. Und für meine eigene wissenschaftliche Arbeit treibt mich seit Jahren die Frage um:
Was ist eigentlich Mode?
Lektüreempfehlungen

Zeitschrift Hochparterre (Architektur und Design, sehr breit ausgelegt)

Susanne Pavlovic: Irgendwas mit Mode (eBook), Coburg 2012

Anne-Celine Jaeger: Fashion Inside: Macher – Models – Marken, Hamburg 2009

Anne-Kathrin Bieber: Die Relevanz von Weblogs im Modejournalismus. Informationsbeschaffung im Zeitalter des Web 2.0. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der Modebranche, München 2013

[update 24.2.2014]: Jobbörse Modejobs 110

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