Oje, denken Sie nun vielleicht, die Brotgelehrte braucht Klicks.

Vielleicht.
Aber eigentlich lektoriere ich gerade den Titel „Sex mit der Maus“ von Joachim Feyerabend und Julia Caspari, der sich mit Onlinesex von Frauen befasst. Und nachdem ich wiederholt die (geschätzten) Umsatzzahlen der Erotikbranche las und überprüfte, dachte ich: Wo Umsatz ist, da sind doch bestimmt auch Arbeitsplätze. Und zwar nicht nur „Sexarbeit“, Prostitutierte und Pornodarstellerinnen. Siehe zur Ausbeutung von Studierenden in der Sexarbeit oder in der Nähe zur Sexarbeit z. B. den Blogbeitrag der Courtisane: http://courtisane.de/blog/?p=457.
Natürlich gibt es Berufe und Jobs, die ich Ihnen weder ans Herz legen will, noch den Blick darauf lenken muss – denn laut Nutzerzahlen hat mindestens die Hälfte von Ihnen, liebe Leser, und ein Fünftel von Ihnen, liebe Leserinnen, den Blick ohnehin bisweilen dort.
Doch es gibt in der Erotikbranche auch Tätigkeiten und Berufe, die es in allen anderen Arbeitsmärkten gibt. Ich habe nach online-Stellenbörsen für die Erotik gesucht und sie grob ausgewertet (z. B. http://jobs.univillage.de/Stellenanzeigen-Erotik/Seite-1.html), und zu den am meisten gesuchten Fachkräften zählen kaufmännisches Personal und Buchhalter. Hinzu kommen Stellen, die für KommilitonInnen vielleicht als Studentenjobs interessant sind (wobei zugegeben bisweilen wohl eine dicke Haut Voraussetzung ist): VerkäuferInnen für Videotheken und Erotikmärkte, KassiererInnen für Kinos und Lagerhilfskräfte. Gesucht werden weiterhin FotografInnen und WebEntwickerInnen.
All dies sind Tätigkeiten, für die GeisteswissenschaftlerInnen nicht aufgrund ihres Studiums in Frage kommen, in denen man sie aber natürlich dennoch findet – ausgebaute Nebentätigkeiten, professionalisierte Hobbys wie die Fotografie. Gerade im Fotobereich adressieren die Ausschreibungen teils explizit „Quereinsteiger mit Erfahrung in Digitalfotografie“. Wie sieht es jedoch in unseren Kernbereichen aus?
Im Bereich der erotischen Kunst gibt es in der gleichen Weise Stellen wie auf dem Kunstmarkt überhaupt. Erotikmuseen verfügen oft, wie anderen Museen auch, über eine professionelle, teils auch wissenschaftliche Verwaltung, z.B.:

Der erotische Literaturmarkt ist groß und umfasst Autoren, Verlage, Lektoren und spezialisierten Buchhandel. Einige Verlage seien kurz gelistet – Sie werden schnell sehen, dass dort nur selten Stellen ausgeschrieben werden, aber vielleicht dienen sie zur Anregung für eigene Projekte oder zu freien Kooperationen:

Eine Auflistung von Autoren der erotischen Literatur finden Sie z. B. auf der Leserplattform LovelyBooks: Link.
Hier gibt es natürlich die U-Literatur, aber unüberschaubar ist auch der Bereich der Fachbücher und Ratgeber. Einen Einstieg in das erotische Schreiben finden Sie z. B. im Schwerpunktkurs Erotik der Akademie modernes Schreiben.
In der Schnittmenge zwischen Literatur und Film siedeln die Drehbuchautoren. Welches Drehbuch, hahaha? Vielleicht nicht für Amateurforen, aber lassen Sie sich nicht täuschen: Trotz oder gerade wegen der Schwemme an Gratispornos blüht auch der professionelle Film und es bilden sich Subgenres, die sehr wohl Wert auf Qualität auch in Sprache und Drehbuch legen. Der Porno “Pirates” (2005), der sich in Ästhetik und Handlung an den Blockbuster “Fluch der Karibik” anlehnt, wurde mehrfach ausgezeichnet. Wikipedia-Artikel “Pirates”. „Frauenpornos“ etwa grenzen sich u.a. durch Drehbuch und Handlung, nicht nur in der Kameraführung und Rollenausstattung von der Pornomasse ab.
Auch für die Partnersuche, Kontaktbörsen, Chat- und Calldienste werden geisteswissenschaftliche Kernkompetenzen nachgefragt – ohne dass ich freilich bemerkt hätte, dass je explizit in der Ausschreibung ein Absolvent der Germanistik oder Philosophie gesucht wäre: als Texter und IKM-Schreiber. IKM steht für „Internet-Kontaktmarkt“. IKM-Schreiber schlüpfen in virtuelle Identitäten, um Kunden zu akquirieren, Profile zu erstellen und innerhalb der Foren zu agieren, etwa zur Kontrolle und Beeinflussung der Geschehnisse.
Die Sexualtherapeutin Amy Jo Goddard beobachtet laut Focus eine sexuelle Revolution, da sich viele Deutsche in Sex-Seminaren fortbilden. Im Seminarbereich Sexualität, Erotik und sexuelle Kommunikation ist es teils gar nicht einfach, die Vorbildung der Coaches herauszufinden. Viele haben eine Reihe von Fort- und Zusatzausbildungen absolviert, die in den Porträts den größten Platz einnehmen, und in der Tat ist es für potentielle Kunden in der Regel wichtiger, welche Form von Tantra praktiziert wird, als das Studium der Geschichte und Germanistik in Frankfurt. Schnittmengen bestehen insbesondere zu Pädagogik und Psychologie, doch auch Fortbildungen in systemischer Beratung – die von eigentlich allen geisteswissenschaftlichen Fächern gespeist werden – waren zu finden.
Letztlich beschäftigen große Unternehmen wie FunDorado oder die Erotikversandmärkte auch Angestellte im Bereich PR und Unternehmenskommunikation. Jetzt, wo ich dies schreibe, fällt mir auf: Ich habe gar nicht geschaut, was sich im Bereich History Marketing tut.
Und wie immer in Deutschland ist eine Branche eigentlich erst dann eine Branche, wenn es einen Berufsverband gibt. Hier ist es der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V., der allerdings vornehmlich aktive und ehemalige SexarbeiterInnen vertritt. Entsprechend kann eigentlich nicht von einem potentiellen Arbeitgeber gesprochen werden. Ich wollte es nur der Vollständigkeit wegen erwähnen. http://berufsverband-sexarbeit.de/

Literatur

Sexarbeit

Cora Berlin: Sexarbeit in Germany! Arbeitsweisen, Sexpraktiken, Behörden, Steuern, Ausstieg: Ein Ratgeber und Aufklärer, Berlin 2012

Emilija Mitrovic/ Dorothea Müller: Sexarbeit – ein Beruf mit Interessensvertretung? Dokumentation von Beiträgen der Internationalen Konferenz European Trade Unions with Sexworkers, Marburg 2009

Alice Schwarzer: PorNo: Opfer und Täter, Gegenwehr und Backlash, Verantwortung und Gesetz, Köln 1994

Petra Joy: Die Pornografin. Female Fantasies – meine Revolution der Lust, München 2012

Kunst und Literatur

Arne Hoffmann: Dirty Writing: Spaß haben & Geld verdienen mit erotischen Geschichten, Nehren 2009

Elizabeth Benedict: Erotik schreiben: Wie Sie Sex-Szenen literarisch gestalten, Berlin 2013

Melissa Gira Grant: Hure spielen: Die Arbeit der Sexarbeit, Hamburg 2014

Gaëtan Brulotte/ John Phillips: Encyclopedia of erotic literature, New York 2006

Maria Theresia Bitterli u.a.: Aktfotografie: Ist das noch Porno, oder ist es schon Kunst? Zur Abgrenzung von Kunst, Erotik und Pornografie, München 2014

5 Kommentare.

  • Hallo Mareike, bist du bei deiner Recherche auch auf das Thema Sexassistenz gestoßen? Das ist ein Markt für SexarbeiterInnen, die quasi auf Rechnung der Krankenkasse ihre Dienste für Gehändicäpte anbieten.

    • Meine unvernetzten Brocken: Ich habe folgenden Blogbeitrag gefunden: http://jule-stinkesocke.blogspot.de/2010/11/lotte-und-die-sexualitat.html
      Allerdings ist Lotte Sozialarbeiterin, nicht Geisteswissenschaftlerin, wird nicht von der KK bezahlt, sondern von einem Verein, und zu ihren Diensten gehört z. B. die Aufklärung von “Behinderten”. Nicht nur Bienchen und Blümchen, auch Vibratoren etc.
      Dann habe ich gehört, dass Sexassistenz in den Niederlanden weitaus üblicher ist als in Deutschland und dort auch die Grenze zur Prostitution weicher verläuft. In Seniorenheimen gibt/gab es immer wieder Streit um die Möglichkeit zum Sexualleben mit festem Partner/ Prostituierter/ Sexassistenz. Insbesondere Angehörige sind da wohl recht intolerant, das bitte ich, zu bedenken! Und wie stets werden Männern sexuelle Bedürfnisse und ihre Befriedigung eher zugebilligt als Frauen.

  • “Siehe zur Ausbeutung von Studierenden in der Sexarbeit oder in der Nähe zur Sexarbeit z. B. den Blogbeitrag der Courtisane: http://courtisane.de/blog/?p=457.”
    Habt ihr den Artikel gelesen? Die Courtisane ist nämlich der Meinung, dass Studierende in der Sexarbeit weniger, bzw. nicht mehr ausgebeutet werden, als beispielsweise im Call Center. Ist das unglücklich formuliert oder an das A. Schwarzer Dogma angelehnt, dass Sexarbeit immer Ausbeutung bedeutet (“95 % aller Prostituierten werden dazu gezwungen”)

    • Vielen Dank für den Hinweis auf Schwarzers Dogma – aber auch im Artikel wird die Ausbeutung an sich ja nicht verneint, lediglich relativiert. Die Relativierung habe ich weggelassen; kann ich in einem Beitrag zum Call Center ja noch aufnehmen. 😉

  • […] Erotik – „Und nachdem ich wiederholt die (geschätzten) Umsatzzahlen der Erotikbranche las und überprüfte, dachte ich: Wo Umsatz ist, da sind doch bestimmt auch Arbeitsplätze. Und zwar nicht nur „Sexarbeit“, Prostitutierte und Pornodarstellerinnen.“ Gemeint sind Tätigkeiten in Erotikmuseen, in der Erotikbuchbranche, als Drehbuchautor oder Texter. […]

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