Wenn Sie darüber nachdenken, zu promovieren, oder Ihnen gar mitgeteilt wurde, dies sei Voraussetzung oder zumindest hilfreich für Ihren Traumberuf, dann schwingt meist ein gewisser Respekt vor Weg und Titel mit. Selbst wenn sich damit heute und für unsere Fächer nicht mehr automatisch ein sicherer Job und besseres Einkommen verbinden, locken doch das soziale und kulturelle Kapital, das mit dem Titel einhergeht. Und all den Zweifeln und Rechtfertigungen, die bei Bewerbungen als „nur“ M.A. auftauchen, sind wir ein Stückweit entwischt.
Wie schön wird der Tag sein, an dem Sie nach Durststrecken, Entbehrungen und harter Arbeit Ihre Pflichtexemplare abliefern, die Urkunde in Händen halten und sich selbst „Doktor“ nennen dürfen. Bestimmt ungefähr so: Amanda’s DPhil Graduation at Oxford Nov 16, 2013
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Oder wenigstens so: Diplomfeier mit Doktorwürde und Auszeichnungen Uni Liechtenstein
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Wenn Sie solch eine Veranstaltung wünschen, sollten Sie sich erkundigen, wo sie angeboten wird. Denn nun der – unbebilderte, nichtgefilmte – Bericht von einer deutschen Provinzuni. Vermutlich ist die Kandidatin nun tatsächlich fitter für den Arbeitsmarkt, denn der Prozess erforderte Geduld, Kommunikationsfähigkeiten und Durchsetzungsvermögen. Mal im Studiengangsprofil nachschauen, ob dies zum didaktischen Konzept oder mindestens zu den Schlüsselqualifikationen gehört.
Freitag, 9 Uhr.
Verlegerin am Telefon: „Hallo, Dr. des. Ihre Promotionsschrift ist aus dem Druck, wir können uns gleich treffen, dann erhalten Sie Ihre Exemplare.“
Dr.des.: „Super, ich freu mich. Ich muss bis halb drei arbeiten, dann komme ich.“
Verlegerin: „Prima. Ich empfehle allerdings, zuvor bei den entsprechenden Stellen in der Uni anzurufen – Sie wissen schon, freitags ab eins …“
Dr.des.: „Ja, mache ich.“
Dr. des. ruft in der Bibliothek an.
UB: „Die Sachbearbeiterin wird ab 12 Uhr nicht mehr im Hause sein.“
Dr. des.: „Kann denn nicht jemand anders die Exemplare in Empfang nehmen und die Bestätigung herausgeben? Sie haben immerhin bis Mitternacht geöffnet?“
UB: „Nein, erst nächste Woche wieder. Aber darauf kommt es doch nun bestimmt nicht mehr an, oder?“
Anruf im Prüfungssekretariat, wo die Urkunde lagert.
Sekr.: „Nein, die Sachbearbeiterin ist auf unbestimmte Zeit erkrankt und die Vertretung noch für knapp drei Wochen in Urlaub.“
Dr. des.: „Wer gibt denn in diesem Fall die Urkunde heraus?“
Sekr.: „Niemand. Sie können doch noch warten, darauf kommt es doch nun nicht mehr an.“
Anruf im Dekanat.
Dek.Sekr.: „Warten Sie, ich verbinde Sie zur Sekretärin des Prüfungsausschussvorsitzenden.“

PA-Sekr.: „Nein, die Urkunde kann niemand als die erkrankte Sekretärin herausgeben. Ich verbinde Sie zum Prüfungsausschussvorsitzenden.“
Prüfungsausschussvorsitzender: „Können Sie denn wirklich nicht mehr warten? Ich kann das eigentlich nicht machen.“
Dr. des.: „Nein, ich kann wirklich nicht mehr warten.“
Prüfungsausschussvorsitzender: „Ok, dann Mittwoch, 12 Uhr.“
Dr. des. nimmt für den Tag Urlaub. Dann fragt sie leicht verunsichert bei Freunden, ob sie zu forsch gewesen sei.
Freunde: „Warum? Die setzen Dir doch auch Fristen. Du hast alle Voraussetzungen erfüllt und Anspruch auf die Urkunde. Außerdem können sie nicht für Dich entscheiden, ob es Zeit hat, Du bist eine mündige Person.“
Mittwoch, 8 Uhr.
PA-Sekr. am Telefon: „ Guten Morgen. Tut mir leid, der Termin heute ist abgesagt. Der Prüfungsausschussvorsitzende ist erkrankt.“
Dr. des.: „Und wer händigt nun die Urkunde aus?“
PA-Sekr.: „Niemand.“
Dr. des.: „Wann ist der Prüfungsausschussvorsitzende wieder erreichbar?“
PA-Sekr.: „Das weiß ich nicht.“
Dr. des. fährt trotzdem zur Universität.
In der Unibibliothek.
UB: „Nein, die Sachbearbeiterin ist leider nicht am Platz. Die Vertretung auch nicht. Keine Ahnung. Gehen Sie doch erstmal einen Kaffee trinken.“
30 Minuten später.
UB: „Nein, immer noch keiner da. Keine Ahnung.“
Dr. des. wird ungehalten: „Es ist ja keine Wochenrandzeit, sondern Mittwoch, 11 Uhr, Semester. Gibt’s denn keinen Ansprechpartner?“
UB: „Ah ja, doch, die sind alle gerade in einer Fortbildung. Kommt gleich jemand. Bisschen warten noch.“
Die Sachbearbeiterin kommt, freundlich: „Das Cover ist ja fantastisch! Hier ist die Empfangsbestätigung. Schönen Tag noch.“
Dr. des. geht mit der Empfangsbestätigung ins Dekanat. Geschäftsführer nicht da, Assistent nicht da. Der Dekan huscht um die Ecke, Mist, verpasst. Aber die Dekanatssekretärin ist da.
Dek.Sekr.: „Der Fall ist doch besprochen und entschieden worden und damit erledigt!“
Dr. des.: „Gibt es keine weiteren Mitglieder des Prüfungsausschusses, die heute erreichbar sind?“
Dek.Sekr.: „Hm, mal google fragen. Doch, Professor X.“
Dr. des. geht zu dessen Büro. Professor X. ist nicht da.
Warten.
Er kommt! Dr. des. erklärt ihr Anliegen.
Professor X.: „Und das kann nicht warten?“
Dr. des. holt Luft und entscheidet sich zur Lüge: „Nein, ich möchte mich bewerben.“
Professor X.: „Na, dafür ist die Urkunde in der Tat praktisch. Sollen wir den Hausmeister rufen? Der kann das Büro öffnen. Wo lagert denn die Urkunde?“
Das weiß Dr. des. nicht.
Professor X. ruft die Sekretärin des Prüfungsausschussvorsitzenden an (s.o.): „Können Sie mit Dr. des. in das Büro des Prüfungssekretariats gehen?“
PA-Sekr: „Das ist gar nicht nötig, die Urkunde ist bei mir im Büro. Natürlich, kann ich rausgeben.“
Professor X: „Na, sehen Sie. Gratulation!“
Dann setzt er sich wieder.
Dr. des. geht die Treppe hoch. Sie legt die Empfangsbestätigung aus der Bibliothek auf den Tisch und erhält ihre Urkunde.
Dann geht Dr. phil. zum Bus.
 
Link:
Asterix und Obelix, Passierschein A38: https://www.youtube.com/watch?v=lIiUR2gV0xk
 
Literatur:
Steffen Stock / Patricia Schneider / Elisabeth Peper / Eva Molitor (Hg.): Erfolgreich promovieren: Ein Ratgeber von Promovierten für Promovierende, Heidelberg 2013
Thomas Meuser: Promo-Viren: Zur Behandlung promotionaler Infekte und chronischer Doktoritis, Heidelberg 2013
Mirjam Müller: Promotion, Postdoc, Professur. Karriereplanung in der Wissenschaft, Frankfurt am Main 2014
Die Brotgelehrte bietet zudem Beratung zur Gleichzeitigkeit von Promotion und Karriereplanung auch außerhalb der Universität. Nach dieser Kurzgeschichte – und vermutlich können Sie hinreichend eigene Beispiele beisteuern – ahnen Sie, warum. Link Veranstaltungen

3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Klassiker! Sehr gut dargestellt!

  • Es ist so frustrierend! 🙁
    Am Dr. phil. arbeite ich noch, aber schon nach B.A. und M.A. lief es so. Und ich schiele immer ein bisschen neidisch (ok, inzwischen spöttisch…) auf die ganzen bussiness-school-of-sonstwas-Absolventen, die bei einem Bachelorabschluss (!) schon amerikanisch gewandet mit Hut und Umhang Fotos machen und irgendwie gefeiert werden – darum geht es ja auch ein bisschen. Wenn nicht für mich, so würde ich es mir doch immerhin für meine Eltern wünschen, die mit vertrauensvoller Gelassenheit meinen Werdegang zur Historikerin begleiten (und sich wahrscheinlich trotzdem von Zeit zu Zeit fragen, was ich da eigentlich mache).

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