2015 stellten wir hier im Blog zum ersten Mal die Tätigkeit als Bibliotherapeutin vor. Heute gibt es ein Reblogging mit aktualisierten Links, aus aktuellem Anlass: In Aachen fand am vergangenen Mittwoch ein Treffen des Netzwerks ELIT (elitnetwork.eu) statt, bei dem junge Wissenschaftler:innen ihre Forschungsergebnisse zur Diskussion stellten. Fridtjof Küchemman berichtete in der FAZ davon: Leseforscher in Aachen zum Einfluss von Literatur auf die Psyche (faz.net) und stellt fest. dass viele der vorgestellten Arbeiten die pädagogische oder sogar therapeutische Anwendbarkeit ihrer Ergebnisse im Blick gehabt hätten.

Stellen Sie sich vor, Sie finden für einen Menschen, dem es nicht gut geht – z. B. wegen Depressionen, Trennung, Angstzuständen etc. – einfach nur das richtige Buch, lesen daraus vor und es geht ihm besser. Und dieser Fund erfolgte nicht zufällig, sondern systematisch und reflektiert: Sie haben einen Einstieg in das Berufsbild der Biblio- und Poesietherapeutin. Ich wähle die weibliche Form, denn in der Deutschen Gesellschaft für Poesie- und Bibliotherapie e.V. bilden Männer eine deutliche Minderheit. Dieser Verein ist kein klassischer Berufsverband, eher ein Netzwerk, das sich der Forschung und dem Austausch über Methoden, Kenntnisse und Praxis widmet.


Wo arbeiten Bibliotherapeutinnen?

In Kliniken und Praxen (Psychotherapie, Reha, Onkologie), in Selbsthilfegruppen, in der Seelsorge, in Schreib- und Literaturwerkstätten, in öffentlichen Einrichtungen, in der Erwachsenenbildung und pädagogischen Einrichtungen. Die Profile, die ich mir genauer ansah, lassen darauf schließen, dass die meisten “auch” Bibliotherapeutinnen sind, vorwiegend jedoch Lektorin, Professorin, Ärztin, Unternehmensberaterin, Buchhändlerin, Coach oder Psychotherapeutin. Dies bedeutet auch, dass Sie bei Interesse nicht nach Stellenausschreibungen “Bibliotherapeut gesucht” Ausschau halten sollten, sondern sich in das Netzwerk einarbeiten, qualifizieren und vor allem ein erstes Standbein entwickeln sollten. In der DGPB sind aktuell ca. 160 TherapeutInnen organisiert.


Was machen Bibliotherapeutinnen?

Sie nutzen Texte und die Heilkraft der Sprache – lesend, schreibend -, um seelische, persönliche und auch gruppenspezifische Prozesse in Gang zu setzen und zu unterstützen. Sie helfen bei der Bewältigung von Lebenskrisen, begleiten vertiefte Selbsterfahrung, regen Veränderungsprozesse an, indem sie vorlesen, zum Lesen anregen, Lesen begleiten, selbst Texte verfassen, Schreibprozesse begleiten. Bisweilen geht die Arbeit auch in eine grundsätzliche Befähigung zur kulturellen Teilhabe über, vermittelt Kanonkenntnisse und leistet Alphabetisierung – je nach Ausrichtung des Primärjobs. Klienten sind z. B. psychisch Kranke, Sterbende, alte Menschen, Migranten, Menschen, die in einer Lebenskrise oder Konflikten stecken oder einfach Neugierige, die herausfinden wollen, wohin die Literatur sie führen kann. In der Regel arbeiten Bibliotherapeutinnen, wenn ihre Arbeit über Lebensberatung hinausgeht, therapiebegleitend und mit anderen Fachleuten, etwa Ärzten oder Psychologen, zusammen.


Wie wird man Bibliotherapeutin?

Nach einem Studium (üblicherweise eine Geisteswissenschaft, aber auch Sozialwissenschaft, Medizin, Psychologie) oder einer Berufsausbildung und anschließender Zertifzierung. Die Europäische Akademie für psychosoziale Gesundheit bietet zertifizierte Weiterbildungen (staatlich anerkannt, mit Gütesiegel) in vier Modulstufen an. Die Module werden in Blöcken angeboten, so dass die Qualifizierung berufsbegleitend stattfindet. Die Gesamtkosten liegen im üblichen Rahmen von ca. 5000 bis 6000 Euro. Diese Qualifizierung allein berechtigt nicht zur Ausübung der Heilkunde (Heilpraktikergesetz).
Seminarangebote der Mitglieder der DGPB finden Sie über diese Liste.

 

Weiterlesen:

  • Auf diese Tätigkeit bin ich über einen Artikel in natur&heilen gestoßen:
    Anne Devillard: Lesen als Medizin/Interview mit Andrea Gerk, in: natur&heilen 6 (2015), S. 12-21.
  • Tobias Blechingern: Bibliotherapie und expressives Schreiben in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dissertation Universität Tübingen 2011. pdf
  • Andrea Gerk: Lesen als Medizin. Die wundersame Wirkung der Literatur, Berlin 2015; Rezension und Leseprobe hier: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2015/10/11/lesen-als-medizin/
  • Erich Kästner: Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke, München 1988
  • Susan Elderkin/Ella Berthoud: Die Romantherapie. 253 Bücher für ein besseres Leben, Frankfurt am Main 2013
  • Rainer Moritz: Die Überlebensbibliothek. Bücher für alle Lebenslagen, München 2012
  • Claudia J. Schulze: Arbeitsbuch Bibliotherapie, Norderstedt 2012
  • Hilarion G. Petzold/ Brigitte Leeser/ Elisabeth Klempnauer (Hg.): Wenn Sprache heilt. Handbuch für Poesie- und Bibliotherapie, Biographiearbeit und Kreatives Schreiben. Festschrift für Ilse Orth, Bielefeld 2017
  • Bibliotherapie » Anwendungsgebiete, Funktionsweise, Ablauf (portal-der-psyche.de)
 

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