In den vergangenen Wochen im Coaching häufte sich eine Perspektive, die ich unter dem Hashtag #AcademicMom fassen will. Mir fiel auf, dass ich immer wieder einzelne Situationen bearbeitete, aber nie systematisiert habe, welche Phänomene Eltern, insbesondere Mütter, im Wissenschaftssystem und in akademischen Arbeitsumgebungen beobachten, was sie dabei verbindet und welche überindividuellen Möglichkeiten zur Verbesserung bestehen. Denn noch überwiegt das Narrativ, es gehe bei der persönlichen Entscheidung für Kinder und den Wunsch nach Vereinbarkeit letztlich nur um individuelle gute Organisation, Leistungs- und Leidensfähigkeit; für den Rest sei ja schon viel getan worden. Da helfen Fachkräftemangel und Gender Gap in vielen akademischen Disziplinen, der mitunter die Förderfähigkeit von Forschungsprojekten mangels ausreichender Gleichstellung bedroht, um auch nach der Rolle von Maternal Bias zu fragen. Ich möchte dieses Themenfeld einmal eröffnen, sicher nicht abschließend, und der Frage nach Befristung und Beschäftigungsbedingungen (#ichbinhanna) die nach akademischer Elternschaft zur Seite stellen. Schließlich fallen für viele Menschen Elternschaft, Qualifikationszeit und erste Arbeitsstelle zusammen. Mehr noch: Insbesondere für Frauen ist die Vereinbarkeit von Wissenschaftlicher Laufbahn und Familie zentral für ihre Laufbahnentscheidung, und da sie an der Schnittstelle von klassischer Karriereberatung und Persönlichkeitsentwicklung/persönlichem Coaching liegt, in Angeboten zur Karriereförderung von Hochschulen eher an den Rand gestellt.

Welche Phänomene also lassen sich beobachten?

1. Auch wenn Vereinbarkeitsfragen, Elternschaft, auch mein #AcademicMom sowohl im Themenspektrum als auch im Bedürfnis mehrheitlich Frauen betrifft, erleben Männer und nicht-binäre Personen, die sich wie Mütter verhalten, ähnliche Diskriminierungserfahrungen. #AcademicMom hat also mindestens zwei Körper: den natürlichen Körper, der Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit durchlebt und zumindest phasenweise und öffentlichkeitsabhängig als mütterlicher Körper in Erscheinung tritt einerseits, und den sozialen Körper, der bestimmte Verhaltensweisen an den Tag legt, die wir kulturell mit „Mutterschaft“ in Verbindung bringen, v.a. Unverfügbarkeit in Arbeitsverhältnissen und Werteveränderung.

2. Diskriminierungserfahrungen: Menschen, die als Eltern agieren, erleben unterschiedliche Formen von Diskriminierung im akademischen Arbeitsalltag. Ich referiere anekdotisch:

  • Entmündigungen und Übergehen der eigenen Entscheidungsfähigkeit („Wir haben das schon mal für Sie entschieden.“)
  • Ungefragte Tipps: zum Stillen, zur Kindererziehung, zur Arbeitsaufteilung daheim
  • Keine Fortbildungsangebote, keine Empfehlungen auf weiterführende Positionen, ausbleibende Anschlussverträge, keine Zeugnis- oder Referenzausstellung („Wie soll ich das bewerten, Sie waren ja in Elternzeit.“)
  • Der Arbeitsplatz wird mit einer anderen Person besetzt. Die Rückkehrerin ist gehalten, um ihren Platz zu streiten, eine andere Tätigkeit auszuüben oder freiwillig auszuscheiden.  
  • Hierzu gibt es seit einiger Zeit den Vorschlag, Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal im Antidiskriminierungsparagraphen zu berücksichtigen.

3. Verschobene Narrative:
Das Narrativ, es werde schon reichlich gefördert, der gesellschaftliche Teil sei also erfüllt, kann weitergedacht werden, nun habe das Individuum dieser Förderung mit guter Organisation und sozialem Investment zu entsprechen.

Das Vereinbarungs-Narrativ, das eigentlich die bestmögliche Trennung der Lebenssphären meint, wobei die Familie nicht in die Arbeit, die Arbeit aber durchaus die Familie durchdringen darf. Letztlich bezieht sich „Vereinbarkeit“ eben nicht auf den Lebensmoment, sondern auf das Lebensmodell.

Hier gilt es, neue Narrative zu pflegen.

4. Begrenzte Ressourcen: Wer hat schon gehört, es brauche ein Dorf, um ein Kind großzuziehen? Und wer hat das Dorf? Erstaunlicherweise stehen die Ressourcen, die wir uns wünschen, nicht immer zur Verfügung. Hinzu kommt, dass dieses Dorf aus der Kraft der Eltern geschaffen und stabilgehalten werden muss; es ist eine eigene Aufgabe, die zu den anderen hinzutritt – und alle sind kräftezehrend, von den körperlichen Anforderungen aus Schlaflosigkeit, Kindergarteninfekten und Schwangerschaft über die nach wie vor anliegenden Aufgaben aus Arbeit und Qualifikation bis zur Moderation und Positionierung in neuen Konflikten, die aufgrund von Mutterschutz, Elternzeit, Unverfügbarkeit entstehen. Ganz zu schweigen von Homeschooling und anderen Zumutungen, die Eltern während der Pandemie einfach vor die Füße gekippt wurden – und die sie häufig annahmen, obwohl niemand ihnen gegenüber in dieser Sache weisungsbefugt ist.
Es ist relevant, den Ressourcenabfluss in den Blick zu nehmen, um sich gut abgrenzen und gut aufbauen zu können; mithin um gut zu wählen, welcher Schritt für die Karriere der effizienteste, wenngleich nicht unbedingt geliebteste sei. Und das braucht Unterstützung, nicht nur durch Partner, sondern struktureller Natur. Eben das Dorf, das man nicht erst selbst bauen und besiedeln muss, sondern das sich proaktiv in Verantwortung bringt.

5. Soziale Doppelbewegung: Zu den eindrücklichsten Erinnerungen an meine Elternzeit gehört die enorme Geschwindigkeit, mit der sich das akademische Sozialleben vom elterlichen Sozialleben trennte. Ich war raus aus den informellen Formaten und Informationsströmen im Hochschulkontext, und wurde zugleich vereinnahmt von neuen sozialen Zuschreibungen außerhalb: Rückbildungsyoga, Babygruppen für erste Sozialkontakte der Kleinen, Müttergruppen zur gegenseitigen Entlastung bei Krankheit oder Überlastung. In beiden Kontexten war ich Außenseiterin. Entsprechend gab es keinen sozialen Kontext mehr, der mich mit meinen (Karriere)Bedürfnissen trug. Und Erfolgserlebnisse blieben aus bzw. wurden nicht im Team verstärkt, weil es kein Team mehr gab.

Eine Stillgruppe oder ein Rückbildungsyogakurs im akademischen Kontext hätte mir gutgetan. Der Hochschulsport müsste so etwas doch eigentlich anbieten können. Oder die Gleichstellungsstelle.

6. Die Teilzeitfalle: Ich weiß, das ist so eine Phrase. Warum „Falle“, ist es nicht wünschenswert, dass es mehr Teilzeitstellen in der Wissenschaft gibt? Die kluge Maria Winter schrieb mir dazu neulich: „Es gibt doch den Spruch, in der Wissenschaft gibt es keine halben Stellen, es gibt nur halbe Bezahlung.“ Und so berichten es Eltern im Coaching immer wieder. Die Output-orientierte Wissenschaftskultur schaut nicht auf Stunden. Das hat den Vorteil der hohen zeitlichen Autonomie. Und den Nachteil, dass das Bewertungskriterium Produktivität bei halber Stundenzahl eben kaum dem Umfang von voller Stundenzahl entspricht. „Gleiche Leistung“ meint nicht Arbeit durch Zeit. Sondern Gleiche Ergebnisse.

Die Teilzeit ist insofern auch eine Falle, als dass im ÖD Überstunden bei Teilzeitstellen keine Ausgleichsansprüche haben, Transferleistungen wie Eltern- oder Arbeitslosengeld sich nach dem Schnitt der letzten 12 Monate berechnen (der dann sinkt). Oder Teamleitungen vorschlagen, die vertragliche Teilzeit sei dann eben Teamzeit/Lehrstuhlzeit, die Qualifikation (für die die Stelle schließlich gedacht ist) könne in der Freizeit erfolgen. Was bedeutet, die gleiche Arbeit wie die Vollzeitkolleg*innen zu leisten, nur eben den Qualifikationsteil unbezahlt. Was wiederum zu weniger Erfolgserlebnissen, weniger Ressourcen, weniger Empfehlungen führt.

Darum ist Teilzeit stets gut abzusprechen und ggf. auch eine arbeitsrechtliche oder gewerkschaftliche Beratung sinnvoll.

  • Bestimmt habt Ihr auch Erfahrungen oder Sorgen? Wie erlebt Ihr Elternschaft im akademischen Umfeld?

Links:

Home – #proparents (proparentsinitiative.de)

Grossekoepfe.de | Ein Elternblog mit Ihrer und Seiner Sicht aus Berlin! – In diesem Elternblog schreibt ein Berliner Elternpaar gemeinsam über das wahre, wundervolle, bunte und chaotische Leben mit drei Kindern und viel Arbeit.

Homepage – Working Moms

Mütter und Karriere: Alles oder nichts? (xing.com)

Home – I-DO Hamburg (i-do-hamburg.de)

Katrin Wilkens – Mutter schafft! – Ein Buch vom Westend Verlag

Frauen nach der Babypause: “Ich kann diese Stundenzahl nicht mehr kloppen” 

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