Julia Zarna und Anna Lemke haben ein Gespräch mit Mareike Menne geführt und auf der Website des Eire Verlags erstveröffentlicht – dort sind die Brotgelehrte-Bücher erschienen. Und weil das Urheberrecht bei uns liegt und doch auch Einiges an brotgelehrter Erfahrung zur Sprache kommt, veröffentlichen wir das Gespräch hier ebenfalls.

EireVerlag: Liebe Mareike, Du bist als Autorin sehr vielseitig und hast schon Ratgeber (Berufe für Historiker, Brotgelehrte 1 und 2), Kinderbücher (KinderGeld) und wissenschaftliche Monographien (Diskurs und Dekor: Die China-Rezeption in Mitteleuropa, 1600-1800) geschrieben. Würdest Du es auch in Betracht ziehen, einmal einen Roman zu schreiben? Wenn ja: Welches Genre sagt Dir zu? Und wenn nein: Warum nicht?

Mareike Menne: Ich interessiere mich nicht sehr für Romane und lese sie nur selten, insofern habe ich wenig Genreerfahrung. Mir fehlen die Fantasie für komplexe fiktive Handlungen und die Geduld zum Aufbau und zur Beschreibung von Szenen, Eigenschaften, Räumen. Auch den Anspruch, ein Sprachkunstwerk zu schaffen, könnte ich nicht erfüllen. Meist finde ich Romanhandlungen und -figuren zudem nicht so innovativ wie das wahre Leben.

EireVerlag: Woher kommt die Inspiration/ die Idee für diese unterschiedlichen Bücher?

Mareike Menne: Ich schreibe meist aus einer Defiziterfahrung heraus.

EireVerlag: Bücher wie „Brotgelehrte“ informieren Studierende über ihre Möglichkeiten, als Geisteswissenschaftler*innen in die Berufswelt einzusteigen. Inwieweit beeinflusst Deine Arbeit als Privatdozentin an der Universität Paderborn Deine Arbeit als Autorin für „Brotgelehrte“?

Mareike Menne: Tatsächlich weniger, als ich selbst dachte. Die Universitäten sind insgesamt nicht sehr an „Brotgelehrte“ interessiert, das Publikum ist eher außerhalb zu finden. Natürlich stellt die Akademie den Rahmen und ein Bezugssystem für „Brotgelehrte“. Letztes Jahr etwa war ich erschrocken über die drastisch gesunkenen Absolventenzahlen der Masterstudiengänge. Woher soll der wissenschaftliche Nachwuchs, woher sollen die neuen Brotgelehrten kommen? Das ist natürlich in den Zentren und Clustern noch nicht unbedingt das Problem, aber der Provinz gehen die Geisteswissenschaftler*innen aus, den Geisteswissenschaften umgekehrt die fachnahe berufliche Vielfalt.
Umgekehrt beeinflusst die Arbeit an „Brotgelehrte“ allerdings die akademische Lehre. Es fällt mir zunehmend schwer, mich auf Theorie und l’art pour l’art einzulassen, dabei habe ich das immer gern gemacht – und halte es auch für eine kulturell relevante Erkenntnishaltung.

EireVerlag: Du hältst inzwischen auch überregional viele Workshops und individuelle Coachings. Welche Themen sind für Geisteswissenschaftler*innen überall gleich?

Mareike Menne: Die Dekonstruktion tradierter Annahmen und Haltungen zum Arbeitsmarkt, also dieses „Uns-will-ja-keiner“, die unzufriedene Haltung, das Studium sei jenseits von Lehramt und akademischer Laufbahn nichts wert. Es ist verblüffend, dass diese Abwertung oft im Außen verortet wird – die Lösung all unserer arbeitsmarktlichen Probleme wäre – so lautet oft der Gruppenkonsens – einfach eine Anhebung der Kultur- und Bildungsetats. Das würde viele Teilnehmer*innen von ihrer eigentlichen Suche entlasten, die um mittelbare Fragen kreist:

  • Was ist denn unser ganz konkreter Beitrag als Geisteswissenschaftler*innen zu aktuellen Problemen und Fragestellungen?
  • Welche Aufgaben erfüllen wir aufgrund unserer Erkenntisse, Methoden und sozialen Dynamiken je im öffentlichen, privaten und dritten Sektor?
  • Welche Probleme können wir lösen, welche Fragen beantworten oder überhaupt erst einmal in Worte fassen?
  • Welchen individuellen und systemischen Gewinn bieten wir dank unserer Erkenntnisse, Inhalte und Methoden?

Oft fehlen Antworten, die den Teilnehmer*innen selbst eine geisteswissenschaftlich-professionelle Identität geben könnten. Sie weichen dann mitunter in die Haltung aus, die Geisteswissenschaften sollten nicht „nützlich“ sein – im Sinne einer unmittelbaren ökonomischen Verwertbarkeit.
Es ist immer ein faszinierender Prozess, Antworten und Gründe für den Wert der eigenen Studienfächer freizulegen, der Begeisterung und Freude an unseren Themen und Gegenständen (und nicht so sehr an Kompetenzen und Qualifikationen) Raum zu geben und dann auf einer anderen Grundlage in die pragmatischen Fragen starten zu können: Wo sind Ausschreibungen, wie laufen aktuell Recruiting- und Bewerbungsverfahren, welches Profil hat der regionale Arbeitsmarkt, welche Chancen bieten Selbstständigkeiten – was also sind für mich angemessene Berufe und Berufungen?  

EireVerlag: Ist die Autorenschaft eher Beruf oder Berufung für Dich? Und welche Tipps hättest du für ambitionierte Einsteiger, die selbst davon träumen, Autor*in zu werden? 

Mareike Menne: Natürlich verbringe ich inzwischen einen guten Teil meiner Arbeitszeit mit dem Schreiben, bilde mich fort und verdiene damit Geld, insofern ist meine Autorschaft Bestandteil meines „Berufs“. Da meine Bücher aber fast immer zum Ziel haben, Lücken zu füllen und zum Denken oder zum Perspektivenwechsel anzuregen, ist es sicherlich auch Berufung. Im letzten Korrekturdurchgang müssen darum auch viele Ausrufezeichen, „tun-Sie-dies-oder-das“-Phrasen und missionarische Attitüde getilgt werden, damit die Autorinnenstimme erträglich wird.

Wenn ich mit meiner Defizit-Perspektive auf ambitionierte Einsteiger schaue und frage, was meiner Meinung nach oft fehlt, dann sind es der Shift von der Autoren- zur Leserinnenzentrierung, Bildung hinsichtlich des Gegenstandes, des Genres und der angemessenen Sprache und die Fähigkeit, das eigene Buch als Wirtschaftsgut betrachten zu können, also „Autorpreneur“ zu werden. Also wären meine Ratschläge: Hört hin, wo potenziellen Leserinnen über Schwierigkeiten klagen. Horcht auch in Euch selbst hinein – welches Buch sucht ihr in Eurem eigenen Schreiben? Schreibt viel, denn ein Buch macht noch keinen Autor; aber veröffentlicht nicht alles, und zumal nicht unbearbeitet. Überlegt, wie das Buch zu den Leser*innen kommt und was es ihnen nützt. Klingt das zu neoliberal?

EireVerlag: Nee, geht. – E-Books sind nicht mehr wegzudenken vom Buchmarkt; inwieweit hat sich diese Entwicklung auf Deine eigene Arbeit als Autorin ausgewirkt?

Mareike Menne: Das E-Book ist eine Erweiterung meiner Möglichkeiten. Wenn ich von einem Titel nicht überzeugt bin oder ihn erstmal im Kleinen ausprobieren möchte, beschließe ich, erstmal ein eBook zu machen und dann weiterzusehen. Tatsächlich habe ich das noch nie so ausgeführt, aber dieser Gedanke war immer entlastend. Das E-Book scheint mir die kleinere Aufgabe zu sein, unverbindlicher. Um von mir auf andere zu schließen: Vielleicht ist das ein Grund für mangelnde Qualität?

EireVerlag: Und als Leserin: Bevorzugst Du E-Books oder Prints?

Mareike Menne: Prints. Selbst wenn sie mich enttäuschen, kann ich sie upcyceln oder zum Dekoobjekt degradieren.

EireVerlag: Du bist ja auch als Bloggerin aktiv. Inwieweit unterscheidet sich das Bloggen vom Bücher schreiben, oder gibt es da für Dich keinen Unterschied?

Mareike Menne: Das Bloggen ist intuitiv, schnell, aktuell (wenn ich mich an meine eigenen Pläne halte), manchmal gibt es unmittelbares Feedback. Das Bücherschreiben ist ein langsamer, quälender Prozess, durchaus mit einer Geburt vergleichbar: Wenn ich denke, jetzt hilft nur noch Ohnmacht, ist es fast geschafft.

EireVerlag: In jedem Buch stecken viel Arbeit, Organisation, Herzblut und schlaflose Nächte – Was waren deine glücklichsten, was waren Deine unglücklichsten Ereignisse als Autorin?

Mareike Menne: Die schlaflosen Nächte bereiten mir immer die Angst vor persönlicher Kritik und die Sorge um die Finanzierung. Darum sind glückliche Momente z.B. Druckkostenzusagen und konstruktive Rezensionen. Als „Berufe für Historiker“ in der FAZ positiv besprochen wurde, war ich sehr stolz. Als ich einen Teil des Erlöses aus „Flory, die Fee“ an SofHi spenden konnte, ebenfalls.
Unglücklich bin ich, wenn Manuskripte stocken und ich das Gefühl habe, die ursprüngliche Idee ist nicht stark genug, um mich durch den Schreibprozess zu tragen. Oder die Welt dreht sich schneller, als ich denken kann – so geht es mir seit vielen Jahren mit einem Buch zum Lesen im Studium. Als ich anfing, waren Volltexte, Lesen am Bildschirm, überhaupt diese Flut an Texten einerseits und der Trend zur Visualisierung andererseits noch nicht im Studienalltag angekommen. Man quälte sich sachte mit dem klassischen wissenschaftlichen Aufsatz zur nächsten Sitzung. Ich bin unglücklich damit, dieses Thema so lange ohne klare Haltung zu bearbeiten, noch im Beobachten verharren zu müssen, bis ich weiß, was ich dazu denke.

EireVerlag: Die Berufsauswahl für Geisteswissenschaftler*innen wird gerne belächelt, oder schlimmer noch, mit sehr schwarzen Aussichten beschrieben. Deine Bücher zeigen, dass die Auswahl vielfältiger ist, als man oft zu hören bekommt. Planst Du, die Reihe der „Brotgelehrten“ weiterzuführen?  

Mareike Menne: Na klar. Ich kann mich gerade nur nicht entscheiden, was zuerst kommt, also: zuerst nach dem Lese-Buch. „Perspektive Öffentlicher Dienst“, „Perspektive Digitalisierung“, „Alternativen für Lehramtabsolventen“, „Eine Apologie der Geisteswissenschaften als Beruf“ oder „Geld für Geisteswissenschaftler*innen“. Ich habe einen Favoriten. Was meint Ihr?

Das Gespräch führten Julia Zarna und Anna Helene Lemke.Schlagworte:Brotgelehrte, Flory die Fee, Lesen im Studium, Menne, SofHi

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