
„Das sind Profis“, sagte Frankreichs Kulturministerin Rachida Dati nach dem Diebstahl im Louvre im Oktober 2025, bei dem Kronjuwelen im Wert von 88 Millionen Euro entwendet wurden. Inzwischen gab es erste Festnahmen – einer der Verdächtigen wurde am Flughafen geschnappt, kurz vor dem Abflug nach Algerien. Aber die Frage bleibt: Was sind das für Profis, die sich mit „unschätzbarem kulturellen und historischen Wert“ auskennen? Die den Unterschied zwischen einer beliebigen Krone und DER Krone der Kaiserin Eugénie kennen? Genau: Leute wie wir. 😊
Was uns zu der unbequemen Frage bringt, welche Jobs sich eigentlich hinter der legalen Grenze verbergen – und was sie uns über Berufsoptionen erzählen, die dann doch wieder ganz seriös sind.
Signature Crimes: Fälschung und Betrug
Popkulturell können wir akademischen Disziplinen Signature Crimes zuordnen:
- Chemie – alles rund um synthetische Drogen
- Informatik – Cyber Crime
- BWL – Wirtschaftsverbrechen
- Medizin – illegale Experimente an Lebewesen
Und die kriminelle Handschrift unserer Disziplinen ist eben die gefälschte Handschrift. Mehr noch: Während andere Wissenschaften mit Materie, Körpern oder Codes arbeiten, ist unser Material die Bedeutung selbst. Wir manipulieren keine Daten, sondern Narrative. Wir hacken keine Computer, sondern Diskurse. Unsere Labs sind Archive, Museen, Sammlungen und die Manifestationen des kulturellen Erbes bis in den Schulunterricht und das öffentliche Geschichtsbewusstsein hinein.
Wer Authentizität konstruieren will, muss erst verstehen, was sie ausmacht. Die Konstantinische Schenkung, die Hitler-Tagebücher, die Sammlung Werner Jägers, Sokal Squared, die Steinlaus – sie alle funktionierten nur, weil die Codes kultureller Autoritätsbildung beherrscht wurden. Fälschungen erfordern die Fähigkeiten, die wir im Studium ausbilden; nur eben rückwärts eingesetzt: Stilanalyse zur Imitation, Kontextualisierung zur Konstruktion plausibler Narrative und Provenienzen, interdisziplinäre Zusammenarbeit, Diskursanalyse für perfekte Mimikry. Denn die beste Absicherung ist, wenn den Betrogenen gar nicht an Entlarvung gelegen ist. Das Rote Bild mit Pferden ist heute selbst wertvoll, und auch NFTs zeigen: Die Frage nach Original und Fälschung wird ohnehin neu verhandelt.
Und unter diesen allbekannten Beispielen gibt es ein breites Tätigkeitsspektrum im Zwielicht, vom akademischen Ghostwriting über das Plagiat und die Manipulation von Grabungs- und Archivfunden. Unblutig, vielleicht, subtil und mit Unterhaltungswert, solange niemand (oder in der Ocean’s Reihe: nur die Richtigen) zu Schaden kommt.
Und dennoch: Gefälschte Quellen und Plagiate können Karrieren und Existenzen zerstören. Manipulierte Geschichte vergiftet öffentliche Diskurse und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
So haben wir eine Liste von Jobs im Zwielicht, von legalen, aber ethisch fragwürdigen Dienstleistungen (akademisches Ghostwriting, Reputationsmanagement, Gefälligkeitsgutachten) über Jobs an der Grenze zur Illegalität (Grabungsschönung, Stammbaumoptimierung) und definitiv illegale Tätigkeiten (Kunst- und Urkundenfälschung, Wissenschaftsbetrug und Hehlerei) bis hin zu noch ungeklärten Angeboten wie NFT-Wash und Deepfakes von historischen Dokumenten.
Wo Schatten ist, muss auch Licht sein
Plot Twist: Für jeden Beltracchi braucht es Expert:innen wie die Kunsttechnologin, die das falsche Titanweiß entdeckte. Für manipulierte Geschichte jemanden wie Heike Kleffner, die akribisch rechte Gewalt dokumentiert. Für jeden Sokal einen Peer Reviewer, der den Quatsch erkennt. Je mehr gefälscht und betrogen wird, desto gefragter sind die, die es aufdecken können.
Provenienzforschung
Seit der Washingtoner Erklärung 1998 suchen Museen und Museumsdienstleister Provenienzforscher:innen. Gesa Jeuthe bekam 2018 die erste Professur für Provenienzforschung in Deutschland. Das Feld wächst.
Was du mitbringen musst: Archivkenntnisse und formallogisches Denken, Sprachkompetenz, ethisches Rückgrat. Was du verdienst: i.D.R. TV-L 13 aufwärts, als Freiberufler:in 60-150€/Stunde. Was du tust: z.B. die Geschichten hinter Objekten rekonstruieren, NS-Raubkunst identifizieren, koloniale Kontexte aufarbeiten. Wo du mehr erfährst: Arbeitskreis Provenienzforschung.
Investigativer Journalismus
Heike Kleffner recherchiert und publiziert seit 20 Jahren zu rechter Gewalt. Ihre Arbeit trug zur Aufdeckung des NSU-Komplexes bei. Teams wie Forensic Architecture nutzen architektonische Methoden zur Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen. Bellingcat entlarvt Kriegsverbrechen mit Open-Source-Intelligence.
Was du mitbringen musst: Hartnäckigkeit, Quellenkritik, professionelle Schreibkompetenz (von der Nachricht bis zur Reportage), digitale Recherchekompetenz, Frustrationstoleranz. Was du verdienst: Als Festangestellte wenig, als Freie vermutlich prekär, aber: Impact. Was du tust: Missstände aufdecken, Narrative hinterfragen, Geschichten erzählen, die sonst niemand erzählt. Wo du mehr erfährst: Global Investigative Journalism Network, Journalist.de
Kunstforensik
Einige LKA haben eigene Abteilungen für Kunstdelikte und Kulturgutschutz. Private Kunstforensiker:innen arbeiten für Versicherungen, Sammler:innen und Auktionshäuser. Museen stellen zunehmend eigene Kunsttechnolog:innen ein – die Staatlichen Museen Berlin haben „das älteste Museumslabor der Welt“: das Rathgen-Forschungslabor.
Was du mitbringen musst: Kunstgeschichte plus Konservierung/Restaurierung/Kunsttechnologie (HAW/FH-Master), Materialkenntnis, technisches Verständnis, Detailbesessenheit. Was du verdienst: Beim LKA A12/13, in öffentlichen Museen und Sammlungen meist TV-L E13, privat deutlich mehr, als Selbständige:r 150-500€/Stunde für Gutachten. Was du tust: Pigmentanalysen durchführen, Fälschungen mit UV-Licht und Röntgenfluoreszenz entlarven, Alterungserscheinungen beurteilen, vor Gericht aussagen, Gutachten erstellen. Wo du mehr erfährst: Verband der Restauratoren VDR, museums.ch, ICOM Deutschland.
Wie du dich vorbereitest
Jetzt wird’s konkret. Du sitzt im dritten Semester Kunstgeschichte, und langsam dämmert dir, dass „irgendwas mit Museum“ als Karriereplan nicht reicht. Die gute Nachricht: Die Entscheidung zwischen Beltracchi-Karriere und Praktikumshölle ist falsch gestellt. Es gibt einen dritten Weg – aber der erfordert strategische Planung.
Fang im Studium an, gegen den Strom zu schwimmen. Während alle anderen das zwölfte Adorno-Seminar belegen, sitzt du in „Einführung in die Archeometrie“. Klingt unsexy? Ist es auch. Aber wer später Fälschungen entlarven will, muss wissen, wie Röntgenfluoreszenz funktioniert. Paläographie und Kodikologie sind die Schlaftabletten des Vorlesungsverzeichnisses – und genau deshalb dein Geheimtipp. Wer Urkunden lesen kann, wird gebraucht. Und das Statistikseminar, vor dem alle fliehen? Ohne Datenanalyse keine moderne Provenienzforschung. Pro-Tipp: Lern lieber Russisch oder Arabisch statt noch ein Semester Französisch. Archive in Moskau oder Kairo sind voller ungehobener Schätze.
Bei den Praktika gilt: Geh dahin, wo es weh tut. Alle wollen zu Zeit Online oder ins Städel. Du gehst ins Rathgen-Forschungslabor und lernst, wie man Pigmente analysiert. Oder zum LKA in die Abteilung Kunstschutz – ja, die nehmen auch Geisteswissenschaftler:innen. Der Zoll hat eine eigene Kulturgutschutz-Einheit, wusstest du das? Da lernt man mehr über den realen Kunstmarkt als in jedem Auktionshaus.
Die wichtigste Erkenntnis: Deine eigentliche Konkurrenz sind nicht andere Kunsthistoriker:innen, sondern Informatiker:innen, die sich für Kultur interessieren. Also lern Python. Nicht für Big Data-Gedöns, sondern für Netzwerkanalysen: Wer hat wann was an wen verkauft? QGIS brauchst du, um Fluchtrouten geraubter Kunst zu kartieren. Und SQL? Wer Datenbanken abfragen kann, wird sofort eingestellt. Das ist die bittere Wahrheit.
Netzwerken – aber richtig. Vergiss die Prosecco-Vernissagen. Werd Mitglied im Arbeitskreis Provenienzforschung (studentisch 15€/Jahr – das beste Investment deines Studiums). ICOM Young Professionals bringt internationale Kontakte. Und – kein Scherz – der Chaos Computer Club hat eine Kunst-AG, wo du Digital Forensics lernst. Die Nerds sind unsere Verbündeten, nicht unsere Feinde.
Zertifikate, die sich auszahlen: Die FU Berlin bietet eine berufsbegleitende Weiterbildung Provenienzforschung. Die HTW Berlin lässt dich als Gasthörer:in in Kunsttechnologie rein. Coursera hat Digital Forensics-Kurse. Und die Archivschule Marburg macht Sommerkurse, die dich zur Archiv-Ninja machen.
Letzter Realitätscheck für Stellenausschreibungen: „Start-up-Mentalität im Kulturbetrieb“ heißt unbezahlte Überstunden. „Allrounder gesucht“ bedeutet, sie wissen selbst nicht, was sie wollen. „Leistungsgerechte Vergütung“ = unter Tarif. Aber wenn da steht „TV-L 13“, „Fortbildungsbudget“ und „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ – bewirb dich sofort.
Die unbequeme Wahrheit zum Schluss: Dein Studium macht dich zur Expertin für Bedeutung, Kontext und Narration. Das sind Superkräfte in einer Welt voller Fake News, Deep Fakes und NFT-Hypes. Du kannst sie nutzen, um zu täuschen, um aufzuklären, oder – wie die meisten – um irgendwo dazwischen zu navigieren.
Die Wahl liegt bei dir. Aber triff sie bewusst. Denn nichts ist peinlicher, als aus Versehen auf der falschen Seite zu landen.
Und falls du doch überlegst, den Louvre auszurauben: Wie gesagt, die Festnahme erfolgte am Flughafen Charles de Gaulle. Kunstfahndung wirkt. 😊
Weiterführende Links
Zum Louvre-Diebstahl 2025:
Kunstfälschung:
Provenienzforschung und Karriere:
Investigativer Journalismus:
Wissenschaftsbetrug:
