Viele Studiengänge in den Geisteswissenschaften versprechen in ihren Profiltexten breite Beschäftigungsfelder: „Gefragt“ seien Kompetenzen aus Literatur-, Sprach- oder Kulturwissenschaften in Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit, Verlagswesen, Kulturmanagement, Wissenschaft, NGOs und internationalen Organisationen. Die Wirklichkeit ist jedoch differenzierter – und hängt stark davon ab, ob ein Bachelor- oder Masterabschluss vorliegt.

Arbeitsmarktdaten und Realität

Aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und verschiedener Hochschulstudien belegen: Für Bachelorabsolvent:innen fällt der Berufseinstieg oft deutlich schwerer als für Masterabsolvent:innen. Nur rund ein Drittel der BA-Absolvent:innen ist ein Jahr nach Abschluss in Jobs tätig, die sowohl dem Fach als auch dem Qualifikationsniveau entsprechen. Fast zwei Drittel schlagen fachfremde Wege ein oder arbeiten unterqualifiziert, das heißt nicht auf Hochschulniveau.

Im klassischen Zielbereich – etwa im Kulturbereich, in Verlagen, im Journalismus oder im Museums- und Wissenschaftsumfeld – gelingt nur einer Minderheit der direkte Einstieg. Laut Mikrozensus-Daten sind von rund 426.000 Geisteswissenschaftler:innen in Deutschland lediglich etwa 109.000 im Bildungsbereich, 13.000 in Medien- und Verlagsberufen, 24.000 im öffentlichen Dienst (Kultur/Wissenschaft) tätig. Demgegenüber arbeitet die Mehrheit in anderen Branchen, von Beratung und Marketing über Handel bis zu IT und Sozialwesen.

Diese Zahlen müssen nicht dramatisiert werden: Es ist völlig legitim, wenn ein geisteswissenschaftliches Studium nicht beruflich verwertet wird, sondern einfach eine schöne, bereichernde Lebensphase war, nach der es mit etwas anderem weitergeht, das ebenfalls bereichernd ist. Problematisch wird es erst, wenn Studiengangsbeschreibungen andere Erwartungen wecken.

Die Zahl explizit ausgeschriebener fachnaher Stellen ist gering: 2024 gab es für Geisteswissenschaftler:innen im BA-Bereich insgesamt rund 2.000 offene, einschlägige Vakanzen – auf das gesamte Bundesgebiet gerechnet. Typisch: Viele Arbeitgeber erwarten sogar im Kulturbereich Praxiserfahrung, Digital- oder Fremdsprachenkompetenzen – und häufig einen Masterabschluss.

Bachelor vs. Master: Unterschiede am Arbeitsmarkt

Während Bachelorabsolvent:innen oft flexibel sind, aber viele Kompromisse eingehen und fachfremd tätig werden, erhöhen MA-Absolvent:innen ihre Chancen auf studienadäquate Stellen signifikant. Bei Masterabsolvent:innen liegt der Anteil derer, die unter Qualifikationsniveau beschäftigt sind, nur bei etwa 13 %, der Anteil an fachnahen Berufseinstiegen ist deutlich höher. Promotionsabsolvent:innen sind noch einmal seltener unterqualifiziert beschäftigt und arbeiten überdurchschnittlich häufig im Wissenschaftsbereich.

Fazit und Empfehlung

Die Chancen für einen Berufseinstieg in den „idealen“ Zielbereichen sind vor allem mit Bachelorabschluss begrenzt – gerade am Anfang der Laufbahn. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer: Studiengangsbeschreibungen behaupten mehr, als sie empirisch absichern können. Studierende orientieren sich daran und erleben dann Frustration und Desorientierung: „Wenn das angeblich die gefragten Bereiche sind, und es dort weder viele Stellen gibt noch wirklich Nachfrage nach mir – wie defizitär muss ich dann sein? Wie sinnlos war mein Studium?“

Diese Anpassungslogik ist destruktiv. Was fehlt, ist ein gestaltungsorientierter Zugang zur Frage, wie geisteswissenschaftliche Bildung im 21. Jahrhundert wirken kann – als Raum kritischer Reflexion, als Ort gesellschaftlicher Orientierung und als Labor neuer Öffentlichkeiten. Die Erwartung, dass irgendwo ein geheimer Stellenmarkt mit perfekter Fach-Job-Passung existiert, muss enttäuscht werden.

Wie können Hochschulen Studierende zukunftsfähig unterstützen?

  • Datenbasierte Transparenz: Ehrliche, empirisch fundierte Darstellung beruflicher Chancen und Anschlusspraktiken. Wenn die Daten fehlen, müssen sie erhoben werden – keine Versprechungen ohne Belege.
  • Reziprozität statt Einbahnstraße: Nicht nur „Wir schicken irgendwie studierte Leute in den Arbeitsmarkt“, sondern aktiv fragen: Was brauchen Arbeitsmarkt und Gesellschaft von uns? Welche Probleme können wir lösen?
  • Bereitschaft zur Weiterentwicklung: Hochschulen müssen sich selbst als lernende Organisationen verstehen und ihre Angebote kontinuierlich an gesellschaftliche Herausforderungen anpassen.

Wie können sich Studierende aus der Fachlogik befreien?

  • Kritische Reflexion: Behauptungen und Narrative zur beruflichen Praxis hinterfragen. Ernstnehmen, dass viele Lehrende Arbeitspraktiken außerhalb der Hochschule nur bedingt kennen.
  • Eigenständige Urteilsbildung: Selbst Informationen suchen, eigene Urteile bilden, narrativoffen bleiben. Raus aus den Defiziterzählungen, aber nicht rein ins „Greatwashing“.
  • Sofortige Transferorientierung: Wer auf den Arbeitsmarkt will, muss die universitäre Blase verlassen und echte Transfererfahrungen machen. Kultur: Fördervereine, Bürgerinitiativen, lokale Kulturprojekte. Wirtschaft: Netzwerktreffen, Meetups, Co-Working-Spaces. Gesellschaft: NGOs, Bürgerbüros, Sozialunternehmen. Politik: Parteien, Verbände, Think Tanks. Medien: Podcasts, Blogs, lokale Redaktionen.

Geh hin, beobachte, dann merkst du es schon. Geh ein zweites Mal hin, dann weißt du schon mehr. Geh ein drittes Mal hin, dann kannst du schon mitmachen. Transfer ist nie abgesichert und planmäßig – für niemanden.


Quellen

  1. Bundesagentur für Arbeit: Geisteswissenschaften
  2. IW Köln: Geisteswissenschaftler auf dem Arbeitsmarkt
  3. Beschäftigungschancen für Geisteswissenschaftler | Future Skills
  4. Wie gelangen Geisteswissenschaftler in die Wirtschaft? – Personalwirtschaft

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