Schauen wir uns Promotionsprojekte verschiedener Promovierender an, stellen wir schnell fest: Es gibt eine Vielfalt von Prozessgestaltungen und Forschungsdesigns. Manche Projekte basieren auf langjähriger Archivrecherche, andere auf wenigen gezielten Interviews oder Laborversuchen, wieder andere auf Theoriediskussionen, theoretischer Modellbildung oder der Analyse bestehender Daten. Die Spannweite ist groß, auch innerhalb einzelner Fächer, und die meisten Promotionsordnungen schränken die Gestaltungsspielräume kaum ein. Sowohl die Betreuenden/Prüfenden als auch die Promovierenden können also sehr häufig aus unterschiedlichen Prozess- und Forschungsdesigns wählen. Meist geschieht dies intuitiv und individuell.

Es gibt allerdings Situationen, in denen eine bewusste Gestaltung von Prozess und Forschungsdesign sinnvoll ist – u.a. dann, wenn wir beobachten, dass Promovierende unter unterschiedlichen Bedingungen ihre Qualifikationsleistungen erbringen. Denn auch diese Bedingungen kennen eine umfassende Vielfalt: von Forschungsstellen, z.B. im Rahmen eines SFB, über Teilzeitstellen an der Universität mit weiteren Verpflichtungen über die Qualifikation hinaus, etwa Lehre oder Verwaltungsunterstützung, bis hin zu diversen Kontexten, aus denen heraus Menschen ihre Promotion als Externe planen: etwa die Industriepromotion, die nebenberufliche Promotion oder die Doktorarbeit im Ruhestand.

In diesem Beitrag geht es darum, die Vielfalt von Prozess- und Forschungsdesigns mit den Bedingungen, unter denen die Qualifikation erfolgt, systematisch zu verknüpfen: Promotion by Design.

Variante 1: Externe bzw. berufsbegleitende Promotion

Eine Doktorandin arbeitet Vollzeit in einem Unternehmen und konnte verhandeln, dass sie 20% bezahlte Freistellung (einen Tag pro Woche) für die Anfertigung einer Dissertation bekommt. Die Ergebnisse der Dissertation sollen durch ihre Transferfähigkeit einen Praxisbezug aufweisen, der für das Unternehmen nützlich sein kann. Ein realistisches Design schließt eng an die betriebliche Arbeit an – z. B. eine Methodenvalidierung, ein scharf umrissenes Experiment oder ein Modellvergleich mit unmittelbarem Praxisbezug. Die Dissertation ist schmaler, aber präzise. Zentrale Qualitätskriterien betreffen weniger Umfänge (Zeit, Seiten, Zahl der Experimente…), sondern den Innovationsgehalt der Fragestellung, die methodische Qualität, die Stringenz der Argumentation und die Transferfähigkeit.

Wir können dieses Beispiel für unterschiedliche Fachgruppen durchspielen.

  • In den Naturwissenschaften könnte die Fragestellung sein, wie ein bereits eingesetztes Verfahren optimiert werden kann. Auch Vergleichsstudien bestehender Analysemethoden oder Modellierungen auf der Grundlage klar definierter Datensätze oder Prozesse sind denkbar.
  • Menschen, die parallel zu ihrer Tätigkeit im Lehramt promovieren möchten, könnten Schulentwicklungsprozesse oder Lehrmaterialien analysieren und weiterentwickeln, Pilotprojekte – z.B. auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse – konzipieren, umsetzen, evaluieren und die Ergebnisse für die Integration aufbereiten.
  • Für alle empirischen Wissenschaften eignen sich Fallstudien mit Methodenreflexion, Konzeptentwicklungen für Praxisprobleme inkl. Evaluation oder Wirkungsanalysen für neu entwickelte Verfahren.
  • In den Geisteswissenschaften lohnt die Kontextualisierung oder multiperspektivische Aufbereitung von bereits vorliegenden, klar umgrenzten Quellenkorpora bzw. Datensätzen oder lokaler/regionaler Fälle.

Dieser Stellentypus birgt in der Praxis oft die Schwierigkeit, dass er als (mindestens) 100%-Stelle verstanden wird, wovon der bezahlte Teil (50-65%) überwiegend für Lehre oder andere Dienstaufgaben eingesetzt wird, und der unbezahlte Teil (35-50%) für die Dissertation zur Verfügung steht. Das ist natürlich nicht die Idee einer Stelle, die zur Qualifikation ausgeschrieben wird und nach WissZVG befristet ist; die Arbeit an der Dissertation gehört zum Aufgabenbereich, der (realistischerweise anteilig) in die Dienstzeit fällt. Mir ist jedenfalls keine zulässige Regelung bekannt, die Menschen vorschreibt, welchen Teil ihrer Arbeit sie in der Freizeit erledigen müssen.

Wenn wir davon ausgehen, dass alle Beteiligten fair mit der Teilzeit-Vertragssituation umgehen, gibt es zwei Dimensionen, die gestaltet werden können: der Arbeitsrhythmus und das Forschungsdesign.

Arbeitsrhythmus meint hier, dass erfahrungsgemäß der Anteil von Lehre, Prüfungen und anderen Tätigkeiten – Verwaltung, Projektkoordination, Veranstaltungsmanagement, Unterstützung von Profs oder Postdocs… – während der Vorlesungszeit höher ist als während der vorlesungsfreien Zeit. Darum sollten empirische Studien, Versuchsreihen, Archivreisen u.ä. ebenso wie das konzentrierte „Fertigschreiben“ für die vorlesungsfreie Zeit geplant werden; Recherche, Arbeit an der Forschungsliteratur, redaktionelle und konzeptionelle Arbeit kann oft auch parallel zum laufenden Semesterbetrieb stattfinden.

Das Forschungsdesign sollte berücksichtigen, dass Promovierende deutlich begrenzte Zeit für die Dissertation haben. Die Herausforderung liegt in der präzisen Formulierung einer fokussierten Fragestellung mit passender Methode – diskursive Analysen, Studien mit begrenztem Datenkorpus oder einer zu den zeitlichen Ressourcen und zur Fragestellung passenden Versuchsreihe ebenso wie Arbeiten, die Bezüge zur eigenen Lehre oder zu anderen Aufgaben im Rahmen des Arbeitsvertrags aufnehmen. Denn es gehört zu den Vorteilen dieses Modells, dass Promovierende institutionell eingebunden sind und damit – anders als in Beispiel 1 – häufig auch schnelleren, unkomplizierteren und kostenlosen Zugang zu akademischen Ressourcen haben.

Konkret könnten folgende Ausprägungen variiert werden:

  • in den Geisteswissenschaften:
    • Theoretisch fundierte Diskursanalyse mit begrenztem (Text-, Bild-, Daten-)Korpus
    • Untersuchung von Lehrmaterialien, Curricula oder Textgattungen, die auch in der akademischen Lehre verwendet werden können
    • Konzeptuelle Arbeit zur Systematisierung eines Forschungsfeldes, z. B. über Metaanalysen oder Literaturvergleiche
  • in den Sozial- und Erziehungswissenschaften:
    • Forschung zur eigenen Hochschullehre oder studentischen Lernprozessen (z. B. qualitativ oder surveybasiert)
    • Fallanalysen aus (bildungs)politischen Kontexten
    • theoriebasierte Modellbildung
  • in den Naturwissenschaften:
    • Fokussiertes Experiment, kleine Experimentenreihe oder Teilprojekt aus einem größeren Forschungszusammenhang
    • Reanalyse vorhandener Daten (z. B. aus dem Labor oder Drittmittelprojekten) unter neuer Fragestellung
    • Mathematisch-theoretische Arbeit mit begrenztem empirischen Anteil, evtl. als Vorbereitung auf spätere Experimentalreihen

Die Qualitätskriterien dieser Arbeiten setzen auf die Definition eines präzisen Erkenntnisinteresses mit aussagekräftigem Material, klarem theoretischem Rahmen und reflektierter Anbindung an laufende akademische Debatten – nicht im Daten- oder Zeitvolumen.

Variante 3: Vollzeit-Promotion

Auch hier gibt es unterschiedliche Modelle: 75%-100%-Stelle, z.B. im Rahmen eines SFB, ein Stipendium, die Aufstockung einer 50-65%-Stelle oder die Promotion in einer Phase finanzieller Freiheit. Ihnen ist gemeinsam, dass sie mehr als 30 Wochenstunden für die Arbeit an der Dissertation bereitstellen – und damit aufwändige Experimente (oder Reihen), komplexe oder empirisch tiefe Projekte ermöglichen. Auch die Vollzeit-Promotion bedeutet keine volle zeitliche Autonomie – komplexe, inter- und transdisziplinäre Projekte oder Experimentreihen bringen hohe Abstimmungsbedarfe mit sich.
Gerade die Möglichkeit zur Vertiefung in Fragestellungen und Komplexität kann die Schwierigkeit mit sich bringen, Phasenübergänge richtig zu erkennen (wann hat man genug Material, wann muss ein neuer, qualitativ anderer Arbeitsabschnitt beginnen…) oder sich nicht in der Vielzahl der Möglichkeiten zu verzetteln (stabiles Projektmanagement!). 

Die zur Verfügung stehenden Ressourcen erlauben einen großen Umfang des empirisch gewonnenen Materials, Tiefe, Komplexität und/ oder Neuartigkeit der Fragestellung.

Erneut können wir dies für unterschiedliche Fachgruppen konkret variieren:

  • In den Naturwissenschaften:
    • Multistufige Versuchsreihen mit Replikationen
    • Methodenneuentwicklung, etwa technikgetrieben eine Kombination experimenteller und computergestützter Verfahren
    • Publikationsorientiertes Design mit mehreren Peer-Reviewed Papers (kumulative Dissertation)
  • In den Geistes- und Kulturwissenschaften:
    • International ausgerichtete Monografie mit umfangreicher Quellenerschließung
    • Theoriebildung auf Basis eines breiten Korpus, Synthesen über lange historische Zeiträume
    • Innovationsprojekte (z. B. digitale Editionen, hybride Formate, neue Methodenzugänge)
  • Sozial- und Erziehungswissenschaften:
    • Mehrstufige Mixed-Methods-Studien mit longitudinalem Design
    • Evaluation komplexer (Bildungs)Programme oder institutioneller Reformen
    • Konzeptuelle Grundlagenarbeit mit empirischer Validierung in mehreren Feldern

Hier greifen Qualitätskriterien, die wir unausgesprochen oft als Standard für Promotionen ansehen: große Eigenständigkeit, ein hohes Innovations- und Erkenntnispotenzial für die Fach-Community, Sichtbarkeit und Transferfähigkeit über das gemeinsame Projekt hinaus sowie selbstverständlich eine methodisch robuste Anlage. 

Fazit

„Promotion by Design“ heißt, Promotionsvorhaben im Spannungsfeld von Erkenntnisinteresse, Methodik und Ressourcen systematisch zu gestalten. Promovierende arbeiten unter sehr unterschiedlichen Bedingungen. Diese Bedingungen bewusst in die Konzeption einzubeziehen, ist ein Zeichen von Professionalität und umfasst v.a.:

  • das Erkenntnisinteresse präzise zu fassen,
  • ein tragfähiges Forschungsdesign zu entwickeln,
  • Phasen und Methoden an den Ressourcenrahmen anzupassen,
  • und wissenschaftliche Qualität über Stringenz, Transferfähigkeit und Erkenntnisgewinn zu definieren.

Die bewusste Gestaltung von Vielfalt von Promotionsdesigns ist keine Beliebigkeit. Sie ermöglicht ein bewusstes, anspruchsvolles und geteiltes Verständnis der Arbeit in Promotionsprozessen, eine realistische Organisation und damit hoffentlich weniger Stress, eine höhere Abschlussquote und wachsende wissenschaftliche Souveränität der Promovierenden.

Weiterlesen

  • Helga Esselborn-Krumbiegel: Die Doktorarbeit , Paderborn 2024
  • Silvio Gerlach: In 200 Tagen zur Dissertation – Der Diss Guide, Berlin 2021
  • Thomas Staab, David Matusiewicz: Ratgeber Berufsbegleitende Promotion: Eine Entscheidungshilfe, Opladen 2022
  • Jutta Wergen: Promotionsplanung und Exposé, Opladen 2024
  • Jutta Wergen: Promovierende betreuen, Opladen 2025

Videos