Interview mit Anka Böthig von der naturfarbenwerkstatt

Anka Böthig ist Architektin, Baubiologin, Farbdesignerin und Gründerin der naturfarbenwerkstatt in Dresden Niederpoyritz. Neben Farben, Tapeten und Naturböden gehören auch individuelle Designberatung und Seminare zu ihrem Repertoire. Nun könnte man fragen, warum eine Unternehmerin aus einer eher handwerklichen Branche ein Interview für einen geistes- und kulturwissenschaftlichen Blog gibt. Die Antwort ist recht simpel: Unter ihren Angestellten sind auch Geisteswissenschaftler*innen zu finden.

Die Bildrechte liegen bei der naturfarbenwerkstatt. Fotografin: Susann Hehnen Apicco.

Sehr geehrte Frau Böthig, danke, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Sie und Mareike Menne haben sich in Dresden auf der Jobmesse „Karriere für den Geist“ kennengelernt. Was ist in der Zwischenzeit geschehen – was treibt Sie derzeit um?

Anka Böthig: Ein wertvoller Kollege ist erkrankt und unsere dünne Personaldecke hat sich weiterhin verschmälert. In Kombination mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie stehen mein Team und ich unter großem Druck. Glücklicherweise laufen die Geschäfte gut. Die Menschen nehmen ihr Zuhause intensiver wahr und kümmern sich mehr um die Gestaltung ihrer Häuser, Gärten und Innenräume. Unsere Kompetenz ist gefragt. Wir brauchten dringend Entlastung und ich konnte inzwischen eine junge Frau für das Backoffice einstellen. Die Zeit der Ladenschließung im Frühjahr hat uns außerdem gelehrt, dass es gut ist, einen ansprechenden, modernen Onlineshop zu haben. Unser momentaner Shop ist ein „Dinosaurier“ von 2012. Ihn zu überarbeiten und uns damit zukunftsfähig zu halten, ist momentan unser großes jahresübergreifendes Projekt. Dafür konnte ich eine projektverantwortliche Designwissenschaftlerin gewinnen, die das Projekt ausgezeichnet vorbereitet und mit der Agentur koordiniert.

In Ihrer Vita steht, dass Sie Architektin, Farbdesignerin und Baubiologin sind. Was genau ist denn unter dem Begriff „Baubiologie“ zu verstehen?

Anka Böthig: Wir Baubiolog*innen bezeichnen ein Haus sinnbildlich als die „dritte Haut“ des Menschen. Es geht weitestgehend um gesunde Lebens- und Arbeitsräume im ganzheitlichen Sinn. Oft interessieren sich Verbraucher*innen nur dafür, ob ein Baustoff gesundheitlich verträglich ist, wenn er bei Ihnen verbaut wird. Wir analysieren Baustoffe aber im gesamten Lebenszyklus nach ökologischen Kriterien.  Es geht darum beim Bauen, Sanieren und bei der Innenraumgestaltung Wohnraumklima, Baustoffe, Ästhetik, Umweltschonung sowie das Zusammenspiel von Ökologie und Sozialem in Einklang zu bringen. Das ist eine komplexe Aufgabe, die ein umfassendes Wissen aus der Bauphysik, Bauchemie, Toxikologie, aber auch über Gestaltungsprinzipien und schließlich ein Beratungs- und Kommunikationsvermögen voraussetzt. 

Und warum waren Sie als Baubiologin auf einer Jobmesse für Geisteswissenschaftler*innen?

Anka Böthig: Ich war vor allem als Unternehmerin auf der Jobmesse. Ich wollte gern junge, motivierte Mitarbeiter*innen in mein Team holen, die schnell erfassen können, Spaß an einer sinnvollen Arbeit haben, an dem Wechsel aus administrativer Arbeit, kreativem Prozess und dem Miteinander des Gestaltens. In Zeiten des digitalen Umbruchs brauchen wir immer wieder den Blick auf sich verändernde Arbeitsstrukturen und konventionelle kreative Prozesse. Geisteswissenschaftler*innen sind zunächst eher zufällig in mein Team gekommen. Ich habe erkannt, dass sie wunderbar strukturiert arbeiten können und eine schnelle Auffassungsgabe haben. Die Zusammenarbeit ist eine große Freude. Ich habe aber bei der Messe auch offengelegt, dass wir hier nicht die gängigen Geisteswissenschaftler*innengehälter zahlen können.

Woher kommt Ihre Faszination für den Umgang mit Naturfarben? Und was brachte Sie dazu ein Unternehmen rundum dieses Thema aufzubauen?

Anka Böthig: Ich habe in der Wendezeit in Dresden Architektur studiert. Wir waren ein studentischer Jahrgang, der der Umweltbewegung der DDR sehr nahestand und die Richtung des ökologischen Bauens, die in den 1980er Jahren in den Altbundesländern begann, förmlich „aufgesaugt“ hat. Bereits während meines Direktstudiums – im Erziehungsurlaub mit meinem ersten Kind – habe ich mit dem Fernstudium der Baubiologie begonnen und danach in entsprechenden Architekturbüros für ökologischen Wohnungsbau in Hamburg und Dresden gearbeitet. Das war nicht einfach in den 1990er Jahren. Das ökologische Bauen steckte bei der Realisierung noch in den Kinderschuhen und es gab auch Niederlagen: Eine kleine Ökosiedlung, an der ich über Monate mit geplant hatte, wurde nicht realisiert, das war frustrierend. Dagegen konnte man mit Farbe so viel schneller etwas verändern…  Den wegweisenden Impuls zur Auseinandersetzung mit der Materie rund um Naturfarben hatte ich 1994 während eines Seminars von Kreidezeit unter der Leitung des Gründers Gert Ziesemann. Kreidezeit ist seit den 1990er Jahren einer der konsequenten Hersteller von natürlichen Farben und heute fester Bestandteil unseres Sortiments. Auf diese erste Begegnung folgte für mich eine Zeit intensiver Beschäftigung mit dem Thema Naturfarben sowohl in handwerklich-praktischer, gestalterischer als auch farbtheoretischer Form. Schließlich sehe ich mich mit der Thematik des für Mensch und Natur gesunden Bauens und Wohnens auch in einem Bildungsauftrag. Die Gründung eines eigenen Geschäftes und Ateliers war und ist für mich der Weg, um mein Wissen stets weiterzuentwickeln, zu verbreiten, und möglichst vielen Menschen mitzugeben. Den kaufmännischen Teil meiner Arbeit musste ich mir hart erarbeiten, ich hatte ja nicht BWL studiert. Auch heute verdiene ich nicht das Geld, was ich als Architektin verdienen könnte, aber ich mache meine Arbeit sehr, sehr gern.

Sie werden in Ihrem Betrieb von einem kleinen Team unterstützt. Wie und warum arbeiten Geisteswissenschaftler*innen in Ihrer Naturfarbenwerkstatt?

Anka Böthig: Das ist eine gute Frage. Die meisten unter ihnen sind mir „zugelaufen“.  Man erzählt, dass man Hilfe benötigt und jemand sucht einen kleinen Nebenjob zum Studium, dann passt das zusammen und entwickelt sich zu einer richtigen Anstellung. Inzwischen würde ich wie sagen, dass mir die Kompetenzen einer*s Geisteswissenschaftlers* in unserer komplexen Arbeit zwischen fachkundiger Beratung zu den Naturbaustoffen, gestalterischen Empfehlungen, Administration und Kommunikation sehr entgegen kommen. Vernetzt und analytisch denken und das große Ganze gleichermaßen wie die Details im Blick behalten zu können, passen super zu der vielschichtigen Arbeit in der naturfarbenwerkstatt.

Welche Fächer sind vertreten?

Anka Böthig: Soziologie, Kunstgeschichte, Germanistik, Designwissenschaft und Sprachwissenschaften vereint in 3 Personen.

Was tragen sie mit ihren Fach- und Methodenwissen zu ihrem Unternehmen bei?

Anka Böthig: Fachlich bringen Sie in unserem Fall Kenntnisse aus der Architektur- Design- und Kunstgeschichte mit und damit Stilkenntnis. Sie wissen zudem einiges über Kommunikation und Sprache, können Schreiben, Formulieren. Methodisch fällt mir besonders die Fähigkeit des Ordnens und Strukturierens auf und das Gespür oder die Analyse hin zum Wesentlichen in einer Sache. Sie stellen viele Fragen, teilweise mir ganz neue Fragen. Das ist sehr hilfreich, um Betriebsblindheit entgegenzuwirken. Ihre Routine im Selbststudium zeigt sich für uns darin, dass sie sich das vielschichtige Wissen rund um Untergründe und Anstriche oder Zusammensetzung der Produkte selbstständig aneignen und dann auch für unsere Kund*innen nachvollziehbar wiedergeben können. Das macht die langjährige Erfahrung in der Arbeit und Beschäftigung mit den naturbasierten Farben und Materialien zwar nicht wett, gibt der Beratung im Laden aber ein ganzheitliches Fundament und vermittelt Sachverstand und Empathie an unsere Kund*innen. Darüber hinaus zeigt sich die Stärke auch in der Projektarbeit. Wie in jedem Unternehmen gibt es Dinge, die verändert und vorangebracht werden müssen. Die Arbeitsweise, in der Geisteswissenschaftler*innen an diese Herausforderungen heran gehen, empfinde ich zum Teil als beeindruckend.

Welche Rolle spielen sie innerhalb des Teams?

Anka Böthig: Sie bilden einen Gegenpol zu den handwerklich –praktischen und kaufmännischen Kolleg*innen. Der Austausch untereinander sorgt für Dynamik und Lebendigkeit, so dass die jeweiligen Horizonte erweitert werden. Arbeitsprozesse werden durch Ideen aus der „fremden“ Disziplin optimiert. Es gibt Impulse für Selbstreflexion und den Raum vielleicht die jeweiligen Schwächen auch etwas abzuschleifen.

Wenn ein privatwirtschaftliches Unternehmen Geisteswissenschaftler*innen einstellt, brauchen sie fachliche Pendants, damit der Laden laufen kann? Wenn ja, welche?

Anka Böthig: Ja, wir haben eine Malermeisterin und einen Tischler im Team, beide vertreten sozusagen das Handwerk und schaffen eine Verbindung zur Umsetzung unserer Ideen. Sie halten auch die Kontakte zu den Handwerker*innen in unserem Kund*innenkreis, erstellen Musteraufstriche, führen Seminare mit mir durch. Von ihnen lernen unsere Geisteswissenschaftler*innen das nötige praktische Knowhow, das wichtig ist für ihre spezifischen Aufgaben im Team. Es gibt also eine Aufgabenteilung — Farbanmischungen machen nur die Malermeisterin und ich und ggf. unsere FÖJler*innen (Freiwilliges Ökologisches Jahr)– die jedoch auch an passenden Stellen aufgeweicht wird.

Vielen Dank für Ihre Zeit! Hier gehts zur naturfarbenwerkstatt.

Fragen von Julia Zarna

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