In den letzten Workshops kam wiederholt die Frage nach Perspektiven in „der IT“. Da ist der Kommilitone, der nebenher codet und jetzt ganz in der Softwareentwicklung arbeitet. Oder die Freundin, die sich als Social-Media-Managerin selbstständig gemacht hat. So entsteht der Eindruck, dass ein Quereinstieg in die IT eine gute Option ist, auch ohne Informatikstudium oder -ausbildung.

Wir haben in Workshops oft nicht die Zeit, diese Frage – die ja auch nicht alle umtreibt – in der Tiefe zu beantworten. Aber zwei Aspekte können wir meist ganz gut betrachten, und die seien hier geteilt:

  • a. Was heißt „IT“ und „Jobs für Geisteswissenschaftler:innen in der IT“ konkret?
  • b. Sind das wirklich Jobs für Geisteswissenschaftler:innen, oder sind das Jobs für Quereinsteigende aller beruflichen Hintergründe?

„IT“ ist ein Sammelbegriff für eine ganze Reihe von Branchen und Tätigkeiten. Dazu zählen unter anderem:

  • Softwareentwicklung (Frontend, Backend, Full Stack)
  • IT-Beratung / Consulting
  • Systemadministration / IT-Support
  • User Experience (UX) / Interface Design
  • Technische Redaktion und Dokumentation
  • Data Analytics / KI-Entwicklung
  • Content Management & SEO
  • Projektmanagement & Produktentwicklung
  • IT-Sicherheit & Compliance

Für viele dieser Jobs ist nicht zwingend ein Informatikstudium Voraussetzung, auch Ausbildungen und Quereinstieg sind möglich. Das klingt für uns erstmal gut. Das ABER: Sie setzen auch für den Quereinstieg Kompetenzen voraus, die wir nicht aus dem Studium mitbringen: technisches Verständnis, Toolerfahrung, systemisches Denken.

Meiner Erfahrung nach reagieren Studierende auf die Anforderung von Können und Kompetenzen reflexartig mit der Suche nach einer passenden Weiterbildung.
Das ist verständlich – schließlich wurde in Schule und Universität vor allem das Sammeln von Nachweisen geübt. Doch genau hier liegt ein Kulturunterschied: In der IT wird Können seltener als bei uns an Zertifikaten gemessen, und mehr an konkreten Ergebnissen.

Ein Kurs ohne Anwendung bringt wenig. Und ein Zertifikat ersetzt weder Neugier, noch Irrtumstoleranz, noch Transferleistung.

Gerade beim Quereinstieg zählen daher Erfahrungen wie:

  • ein selbstgebautes Website-Portfolio,
  • ein Open-Source-Projekt auf GitHub,
  • ein konkreter Use Case mit KI-Tool,
  • oder eine kleine SEO-Analyse für einen Bekannten.

Solche Dinge sind nicht nur „Übungen“, sondern echte Beweise von Lernfähigkeit, Transferkraft und digitaler Anschlussfähigkeit. Dafür braucht es keinen Institutsstempel, sondern ein vorzeigbares Produkt oder einen dokumentierten Fall.

Das bedeutet nicht, dass Weiterbildungen sinnlos wären – im Gegenteil: Eine strukturierte Weiterbildung kann Rahmen und Fokus geben, Kontakte vermitteln, eine neue Sprache lehren. Aber sie ersetzt nicht den Praxisteil, und sie ist nicht der einzige Weg.

Die Sache mit den Quereinstiegs-Jobs ist – nicht nur in der IT – die, dass wir nicht als Geisteswissenschaftler:innen quereinsteigen, sondern als Content Manager:innen oder Data Analysts. Es sind keine Jobs „für uns“. Es sind Jobs, die wir nach einer Anpassungszeit auch machen können, und unsere berufliche Identität, die wir im Studium aufgebaut haben, verabschieden wir dann.

Darum drängt für viele die Frage: Gibt es nicht auch Jobs „für uns“ in der IT? Die kurze Antwort: Ja – aber meist nicht unmittelbar.
Es gibt kaum IT-Jobs, in denen man primär wegen seines geisteswissenschaftlichen Hintergrunds eingestellt wird. Stattdessen passiert etwas anderes: Geisteswissenschaftliche Kompetenzen werden kontextuell relevant – oft in Kombination mit Technikverständnis, Zusatzqualifikationen oder Berufserfahrung.

Damit kein Missverständnis entsteht: Das geht weit hinaus über die Phrase „Geisteswissenschaftler sind Generalisten“, denn sie impliziert, wir bringen schon alles mit und können es auf jeden Kontext übertragen. Dabei wird oft übersehen, dass wir gar nicht das Kontextwissen haben, um gezielt Kompetenzen übertragen zu können. Sehr kritisch auf meine Workshop-Fragenden geschaut: Sie suchen nach einer Chance in einer Branche, deren Jobprofile sie nicht beschreiben können, deren KMU-Arbeitgeber:innen sie nicht kennen, mit deren Wertschöpfung sie sich nicht befasst haben. Der Wunsch ist eher, dass die aufnehmende Branche schon weiß, was sie mit geisteswissenschaftlicher Expertise anfangen möchte, und wir nur noch liefern müssen. Das ist mitunter – aber selten – der Fall:

Ein Beispiel: UX-Design in der Lernsoftware mit pädagogischem Anspruch. Hier sind didaktische, sprachliche oder ethische Perspektiven wichtig – Kompetenzen, die viele Geisteswissenschaftler:innen mitbringen. Aber: Der Zugang erfolgt in der Regel nicht allein über das Studium, sondern über Zusatzkenntnisse in Design, Testing oder e-Learning-Tools.

Ein zweites Beispiel: Vor einigen Jahren war die Technische Redaktion ein typischer Einstieg für sprachstarke Geisteswissenschaftler:innen. Heute verlangen viele Stellen technisches Grundverständnis – z. B. XML, Markdown, DITA oder Versionskontrolle mit Git.
Ein realistischer Einstieg gelingt hier über gezielte Weiterbildungen (z. B. tekom-Zertifikat), ein bisschen Tech-Affinität und oft auch über Werkstudentenjobs mit technischer Nähe bzw. bei Dienstleistern für Technische Redaktion.

Für die Mehrzahl allerdings bedeutet ein Wechsel in Quereinstiegs-Tätigkeiten in der IT auch einen Rollenwechsel: vom „Geisteswissenschaftler“ bzw. „der Geisteswissenschaftlerin“ zur „IT-Fachkraft mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund“.

Drei mögliche Pfade sind:

a) Selbstlernen + Portfolio: Programmieren

Das typische Szenario: Studium + YouTube-Tutorials + Praxisprojekte → Bewerbung als Junior Developer.
Das ist realistisch, wenn es ernsthaft betrieben wird – mit GitHub-Profil, Open-Source-Beteiligung oder eigenen Webseiten. Aber: Der Wettbewerb ist hoch, und einfache Programmieraufgaben werden zunehmend von KI übernommen.

b) Berufsbegleitende Weiterbildung / Bootcamps

Coding Bootcamps, UX-Zertifikate, Data-Analytics-Programme – sie bieten strukturierte Einstiege und vermitteln sowohl Kompetenzen als auch den Branchenkontext bzw. den Einstieg in das berufssoziale Umfeld. Letzteres ist ein Vorteil, weil das Lernen direkt mit Netzwerkkontakten und Praxisbezug einhergeht. Allerdings kosten Bootcamps und große Weiterbildungen auch Geld, meist im vierstelligen Bereich – und das ist nicht immer förderfähig, was uns „Uni-verwöhnte“ ganz schön herausfordern kann.

c) Skills aus Nebenjobs oder Ehrenamt

Viele IT-nahe Rollen erschließen sich über Erfahrungen außerhalb des Studiums:

  • Webdesign, CMS (z. B. WordPress, Typo3)
  • Content Management, SEO, Digital Marketing
  • Projektkoordination, Ticketsysteme (Jira, Confluence)

Hier entstehen typische Einstiegsrollen wie: Junior Content Manager, CMS-Admin oder Digital Project Assistant. Sie sind oft die Tür zum Einstieg. Diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, erzählten, dass es während des Studiums durchaus zwei Welten waren: Das geisteswissenschaftliche Studium „tickt“ ganz anders als die IT-Praxis, und sie haben auch durchaus Unverständnis und Vorurteile gegen die jeweils andere Arbeitskultur. Das bedeutete eine Zeitlang, nirgends so richtig dazuzugehören – und löste sich erst nach Studienende, durchaus oft mit etwas Bedauern.  

Das Interesse an IT-Jobs speist sich nicht nur aus den Erfoglsgeschichten ehemaliger Kommilitonen. Ihnen hängt der Mythos an, sie seien zukunftssicher. Doch auch die IT-Branche steckt in der Transformation: Viele Aufgaben und professionelle Rollen verändern sich durch KI und Automatisierung – oder entfallen.

  • Codegenerierung durch Tools wie GitHub Copilot ersetzt einfache Entwicklerjobs.
  • Content-Erstellung per KI verändert die Rolle klassischer Texter:innen und Redakteur:innen.
  • Neue Rollen entstehen sehr schnell: Agent-Designer:in, KI-Didaktiker:in, Data Ethicists – oft interdisziplinär, oft ohne klassischen IT-Hintergrund.

Die gute Nachricht: Quereinsteiger:innen mit kritischem Denken, Reflexionsfähigkeit, Sprachkompetenz und Lernwillen sind weiter gefragt. Voraussetzung ist allerdings die Bereitschaft, sich permanent neue Tools und Denkweisen anzueignen und nicht nur einmal die Generalisten-Karte zu spielen oder Zukunftssicherheit mit Stabilität zu verwechseln.

Wer in die IT will, muss sich bewegen. Der Abschluss in Geschichte, Germanistik oder Philosophie ist selten entscheidend, sondern:

  • Welche Tools du beherrschst,
  • wie du lernst,
  • wie du Probleme löst,
  • wie du dich positionierst.

Und vor allem auch, ob du bereit bist, deine bisherige professionelle Identität – die ja möglicherweise noch im Werden ist – loszulassen. Für den Quereinstig in die IT ist nicht relevant, ob Du Geisteswissenschaftler:in oder ohne Ausbildung bist, vielmehr, ob Du sagen kannst:

  • „Ich kann JavaScript und habe ein Projekt umgesetzt.“
  • „Ich optimiere Content für Suchmaschinen und habe die Conversion-Rate gesteigert.“
  • „Ich plane digitale Workflows und arbeite mit Jira, Trello und Notion.“

Der Wechsel in die IT ist möglich. Aber die IT wartet nicht auf Geisteswissenschaftler:innen. Sie bietet neue Rollen, die auch wir als Geisteswissenschaftler:innen uns erschließen können.

Stellenbörsen:

Weiterlesen

Weiterbildung & Zertifikate

Arbeitsmarkt & Rollenentwicklung