Die Universitäten schreiben aus, und ein großer, klassischer Arbeitsmarkt für Geistes- und Kulturwissenschaftler*innen geht trotz Krise in einen weiteren Zwei- bis Drei-Jahres-Zyklus. Es ist viel zu lesen über ärgerliche und prekäre Arbeitsbedingungen an Hochschulen, und es gibt natürlich auch Ratgeber und Strategieempfehlungen für einen individuellen, erfolgreichen Weg im Wissenschaftssystem. Der Diskurs darüber ist einerseits so komplex und vielfältig, andererseits aber irgendwie auch in der Wiederholung des Immergleichen abgedroschen, sodass es nicht leicht ist, zu entscheiden, Worte und Eure Lesezeit darauf verwenden zu wollen. Was kann Brotgelehrte beitragen?

Wir haben Stellenanzeigen gesammelt; nun fragen wir, was sie uns lehren, wenn wir nicht auf Stellensuche sind, sondern versuchen, Arbeitsmärkte zu erfassen und vielleicht präzisere, passendere Strategien für unser Handeln auf einem spezifischen Arbeitsmarkt abzuleiten. 

Zunächst ist zu sehen, dass der akademische Arbeitsmarkt selbst in der als provinziell wahrgenommenen Region Westfalen-Lippe für Absovent*innen geisteswissenschaftlicher Disziplinen einer der größten Arbeitsmärkte gemessen an Ausschreibungszahl, arbeitgebenden Institutionen und Fachaffinität ist. Achteinhalb Universitäten – die halbe ist Duisburg-Essen, weil nur Essen in Westfalen liegt ☺ – und 19 Fachhochschulen teils mit mehreren Standorten – wir machen uns das im Alltag oft gar nicht klar, wieviel Fülle und Differenziertheit im tertiären Bildungsbereich der Region vorhanden ist. Nun ließe sich sogleich einwenden, dass die 19 Fachhochschulen eigentlich keine geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächer bedienen; doch das stimmt nur teilweise: Theologie und Philosophie sind an den kirchlichen Hochschulen vertreten, kunst- und musikwissenschaftliche Fächer an den Kunst- und Musikhochschulen. Auch ließe sich einwenden, dass die achteinhalb Universitäten hinsichtlich der Geistes- und Kulturwissenschaften und auch der Organisation sehr unterschiedlich geprägt sind; Dortmund hat eine technische Universität, die Universität Witten-Herdecke ist nicht-staatlich und hat einen gesundheitswissenschaftlichen Schwerpunkt, die Fernuniversität Hagen ist irgendwie virtuell. Aber grundsätzlich haben alle achteinhalb Universitäten geistes- und kulturwissenschaftliche Studienangebote und schreiben Stellen für Forschung, Lehre und Verwaltung aus. Im vergangenen Monat haben wir an diesen Einrichtungen 56 Stellen gefunden und müssen fairerweise sagen, dass wir nicht immer alle Seiten abgesucht haben, weil unser Zeitlimit erschöpft war. Geht also gern davon aus, dass es mehr Stellen sind, und das nicht nur aufgrund eines verdeckten Arbeitsmarktes.

Kommt nun das große ABER? Schon, doch vorher noch eine gute Nachricht: ungefähr die Hälfte der Stellen waren zumindest dem Ausschreibtext nach geeignet für Absolvent*innen. Mitunter waren Erfahrungen gefordert oder gewünscht, aber die Art der Erfahrung schien durchaus im Rahmen einer Abschlussarbeit, einer Projektmitarbeit, einer Wissenschaftlichen/studentischen Hilfskraftstelle oder einer Tutorenstelle erreichbar zu sein (Schlagworte „Projekterfahrung“, „erste Lehrerfahrung“, „Erfahrung in der Arbeit mit wissenschaftlichen Datenbanken“ usw.). Durchaus gab es Ausschreibungen, die eine fachliche Spezialisierung oder sogar ein Spezialgebiet forderten. Insgesamt können wir also feststellen: Die Hochschulen selbst sind Anbieter von Einstiegsstellen für Absolvent*innen.

ABER diese Einstiegsstellen sind nicht nur befristet und oft in Teilzeit. Ein ganz wesentliches Problem scheint mir, dass diese Stellen „Janusstellen“ sind, insofern sie für manche den Einstieg in eine wissenschaftliche Laufbahn darstellen, für viele aber nicht. Für diese Vielen gibt es jedoch keinen offenen Diskurs über Alternativen; im Gegenteil: Studien zeigen, dass beim Einstieg in den wissenschaftlichen Arbeitsmarkt das Bewusstsein für die Befristung und das wahrscheinlich Vorübergehende dieser Phase vorhanden ist und entsprechend der Wunsch nach einer akademischen Laufbahn Alternativen kennt. Während der Beschäftigung an Hochschulen aber dominiert eine soziale Konformität, die die akademische Karriere insbesondere für Geistes- und Kulturwissenschaftler*innen als wünschenswerten Standard definiert. Der Frust steigt, da auch das Korrektiv der unterschiedlichen Wege und Pläne der Kommiliton*innen, das es in der Studienphase noch gab, entfällt. Wer in der Hochschule arbeitet, begegnet im Alltag nur wenigen positiven Beispielen von alternativen Werdegängen, das Narrativ der „Gescheiterten“ bekommt Nahrung, und ein offener Umgang, vielleicht gar eine Unterstützung für Wege aus der Hochschule heraus nach der ersten Stelle oder nach der Promotion ist die Ausnahme. 

Doch wohin führt der akademische Weg nach der befristeten Stelle? Die Ausschreibungen zeigen: In einem idealen Werdegang auf eine weitere befristete Stelle, dann in Vollzeit, eventuell anschließend oder stattdessen auf eine Stelle mit der Option zur Entfristung, und dann auf eine entfristete Stelle in der Verwaltung/Wissenschaftsmanagement oder mit einer Professur. Der Weg auf die entfristeten Stellen in der Verwaltung scheint in den Ausschreibungen manchmal etwas kürzer zu sein, etwa im Bereich des Studiengangsmanagement oder zentraler Einrichtungen, aber das ist nicht grundsätzlich der Fall, für Referent*innen- oder Dezernent*innenstellen scheint ein ähnliches Hangeln erforderlich zu sein. 

Was folgt daraus?

Das Dilemma, im Hochschulkontext relativ gut einsteigen zu können, doch eigentlich laufend mit der Frage konfrontiert zu sein, was auf die erste befristete Stelle folgt und wie der Übergang so gestaltet werden kann, dass keine sozialen Nachteile zu befürchten sind bzw. eine Tür an der Hochschule nicht zugeht, weil sich allzu offensichtlich eine Tür in einem anderen Arbeitsmarktkontext geöffnet hat oder sogar aktiv dort angeklingelt wurde. Die Tücke liegt darin, dass diese Zweigleisigkeit zwar von allen gewusst wird, aber daraus kein systematisch-professionelles Handeln der akademischen Personalentwicklung folgt.  

Was könntet Ihr also eigenständig tun, um diese Einstiegsstellen gut zu nutzen?

  • Plan B entwickeln und pflegen
  • Selbstbeobachtung und Selbstdokumentation: Welche Kompetenzen, welche Tätigkeiten kommen hinzu? Nachweise, Textbausteine. Welche Netzwerkpartner?
  • Marktbeobachtung: Welche Branche, welche Tätigkeit ist interessant? Welche ist leicht und gut zu erreichen? Welche bietet Chancen? Wie könnten Kontaktaufnahme und Übergang gut gelingen?
  • Eine passende Kommunikation über die eigenen beruflichen Pläne pflegen: Wer soll was wissen? Wie klar sind Entscheidungen, und wie offen sollen sie in welchem Kontext kommuniziert werden? 

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